Seekers - Die Letzte Große Wildnis: Band 4 (German Edition)
sollten ihn rufen …«, begann Lusa.
Ein plötzliches Kreischen und Schnattern unterbrach sie. Die ganze Gänseschar erhob sich in die Luft. Diesmal flatterten die Vögel nicht nur ein Stückchen weiter, sondern sie stiegen hoch in den Himmel.
»Was ist denn jetzt los?«, fragte Toklo gereizt.
»Seht mal!« Kallik spitzte die Ohren. »Ein Wolf!«
Toklo folgte ihrem Blick und entdeckte die schlanke graue Gestalt auf der anderen Seite des Sees. Der Wolf hatte sich an die Schar angeschlichen und, als die Vögel in die Luft aufgestiegen waren, knurrend einen Satz nach vorn gemacht. Er hatte jedoch keine von ihnen erwischt.
Ich weiß, wie sich das anfühlt, dachte Toklo.
Seine Verärgerung wuchs, als die Vögel, anstatt wieder herunterzukommen, eine Keilformation bildeten und in Richtung Meer davonflogen.
»Ujurak fliegt mit!«, rief Kallik aus.
»Dämliches Hamsterhirn«, murmelte Toklo. »Der Tag wird kommen, an dem er nicht mehr zu uns zurückfindet.«
»Glaubt ihr, wir sollten hinterher?«, fragte Kallik.
»Sollten wir!« Toklo lief bereits los, den davonfliegenden Gänsen hinterher. »Kommt mit!«
Lusa und Kallik folgten ihm. Als der Wolf die Bären auf sich zujagen sah, machte er erschrocken kehrt und floh in den Wald auf der anderen Seite des Tals.
Den wären wir los!, knurrte Toklo innerlich. Er erinnerte sich daran, wie er, Lusa und Ujurak in den Bergen von einem Rudel Wölfe gejagt worden waren. Es war ein gutes Gefühl, dass sie nun einen Wolf in die Flucht geschlagen hatten.
»Ujurak! Ujurak!«, bellte er laut. »Komm zurück!«
8. Kapitel
Ujurak
Kraftvoll mit den Flügeln schlagend flog Ujurak hoch durch die Lüfte. Der Wolf war nur noch ein kleiner grauer Punkt am Seeufer. Ujurak gingen Erinnerungen durch den Kopf, die nicht die eigenen waren: helle, gierige Augen, scharfe Zähne und starke Kiefer, Blutspritzer auf weißem Gefieder. Zwar entsann er sich schwach daran, dass er einst die Zähne in Gänsefleisch gestoßen hatte, doch ihm kam es vor, als habe ein anderes Geschöpf dies erlebt, vor langer Zeit.
Von unten kamen schwache Rufe. Als Ujurak hinabblickte, entdeckte er drei kleine Gestalten, die dem Gänseschwarm folgten – eine schwarz, eine weiß und eine braun. Einen Augenblick war Ujurak verunsichert, denn er meinte wissen zu müssen, wer sie waren und warum sie nach ihm riefen. Doch bald wich seine Verwirrung der Freude darüber, dass er dem Wolf entkommen war und dass seine Flügel sich kraftvoll durch die Luft bewegten.
Um ihn herum ordneten sich die Gänse nach und nach zu einem Dreieck an und flogen auf das Meer zu.
»Fliegt! Fliegt weit! Lasst den Wolf zurück!« Die Schreie der Gänse waren überall. Ujurak merkte, dass der Befehl von der Leitgans kam und zu beiden Seiten des Dreiecks von einem Vogel zum anderen weitergegeben wurde.
»Fliegt weit! Fliegt!«, krächzte er, als die Reihe an ihm war.
Sie ließen die Hügel hinter sich und vor ihnen öffnete sich die Küstenebene.
»Fresst viel!« Ein weiterer Befehl schwappte vom Anführer an der Spitze durch die Schar hindurch nach hinten. »Fliegt bald zum anderen Zuhause! Spürt Sonne auf den Federn!«
»Anderen Zuhause … Sonne … fresst viel …« Während die Gänse die Worte weitergaben, spürte Ujurak schon fast die Wärme der Sonnenstrahlen in seine zarten Vogelknochen dringen und die Sehnsucht nach dem anderen Zuhause packte ihn wie eine mächtige Klaue.
Dabei vergaß er ganz, sich aufs Fliegen zu konzentrieren. Mit einem Mal krachte er in die Gans, die vor ihm flog. Beide Vögel flatterten wild und überschlugen sich bei dem Versuch, das Gleichgewicht wiederzuerlangen. Ein paar schwindelerregende Momente lang wirbelten Himmel und Erde um Ujurak herum und er verlor die Richtung. Eine dritte Gans direkt hinter ihm kam ebenfalls aus dem Takt und versuchte, sich mit heftigem Flügelschlagen wieder zu fangen.
»Schneckenhirn!«, fauchte die erste Gans Ujurak an. »Du bist wohl gerade erst aus dem Ei geschlüpft?«
»Schneckenhirn … Schneckenhirn …« Das Schimpfwort setzte sich von einer Gans zur anderen fort.
»Entschuldigung!« Ujurak mühte sich darum, wieder einen Platz in der Formation zu finden. Solange er sich außerhalb des Dreiecks befand, fielen ihm die Flügelschläge schwerer, Luftströme zerrten an ihm und schleuderten ihn umher. Es kostete ihn ungeheure Kraft, die Schar einzuholen und sich neu einzuordnen. Als er in den Windschatten der vor ihm fliegenden Gans eingetaucht war, fiel ihm
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