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Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)

Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)

Titel: Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irene Zimmermann
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und stellt – wenigstens für diesen Augenblick – keine Gefahr mehr dar. Ich ziehe die Mundwinkel nach oben (eine freundliche Atmosphäre ist das A und O für eine gelungene Kommunikation, habe ich im Kurs für Verkaufsberater gelernt) und murmle: »Ehm ja, wir kennen Wolfgang, sozusagen.«
    »Näher?«
    Ich nicke wortlos.
    Rudolf scheint jetzt mit dem Bild fertig zu sein, er tritt einen Schritt zurück, setzt die Brille ab, schüttelt leicht den Kopf (ein Todesurteil für jedes Kunstwerk, wie ich inzwischen gelernt habe) und ruft fröhlich: »Doreen! Warum machst du so ein Geheimnis daraus? Ist doch keine Schande. Wo steckt denn jetzt dein Bruder?«
    »Dann sind Sie ... Nein, das gibt’s doch nicht! ... Doro?«
    Mir bleibt nichts anderes übrig, als wieder einmal stumm zu nicken.
    Jens lässt sich schwer auf das Designerstühlchen vor dem Tresen fallen und starrt zu mir hoch, mit offenem Mund. Was bei ihm aber günstig ist, denn er zeigt dabei ein makelloses Gebiss, wie es vermutlich zu seiner beruflichen Grundausstattung gehört. »So, so«, seufzt er wehmütig. »Wie doch die Zeit vergeht, Doro.«
    »Ihr kennt euch?«, fragt Rudolf verblüfft. »Na so was!«
    »Aus dem Sandkasten!«, rufe ich schnell. »Wir haben zusammen im Sandkasten gespielt.« Auf eine Notlüge mehr oder weniger kommt es jetzt auch nicht mehr an.
    »Aber wir haben doch ...« Jens schluckt.
    »Ja, wir haben im Sandkasten natürlich auch viel gestritten, nicht wahr, Jens? Du hast mich immer an den Haaren gezogen, das ziepte vielleicht.«
    Halt bloß den Mund, sagt der Blick, den ich ihm bei diesen Worten zuwerfe, und damit der Sachverhalt ganz eindeutig wird, hänge ich mich liebevoll bei Rudolf ein und puste ein Stäubchen von seinem Jackett.
    Endlich scheint Jens zu begreifen und erfindet doch tatsächlich die Story, dass ich irgendwann nicht mehr mit ihm hätte spielen wollen. »Ich habe sehr darunter gelitten, dass Doro die anderen Jungs im Sandkasten netter fand als mich«, sagt er mit traurigem Dackelblick.
    »Wir lassen die Vergangenheit jetzt lieber ruhen«, schlage ich vor, bevor er womöglich noch in Tränen ausbricht. »Aber ich würde doch gerne wissen, wo Wolfgang ...«
    »Moment mal!«, ruft Jens. »Ich muss euch unbedingt noch was zeigen!« Er verschwindet in einem der Sprechzimmer und kommt mit einem goldgerahmten Foto von olympischen Ausmaßen zurück. »Meine Familie«, sagt er voller Besitzerstolz. »Müsste dich doch interessieren, Doro. Übrigens, hast du auch Kinder?«
    »Ach, wie entzückend!«, rufe ich aus, ignoriere die Frage und kriege mich fast nicht mehr ein vor Begeisterung über das Bild, das Jens mir vor die Nase hält. »Deine Töchter? Ganz der Papa! Und hier, deine Frau? Ganz entzückend! Also nein, ich bin so was von geplättet!«
    Ein Hustenanfall von Rudolf unterbricht meine Arie, was vermutlich auch besser ist. Denn so viel Verzückung angesichts einer eher unscheinbaren Frau, dreier halbwüchsiger Mädchen und einem schielenden Berner Sennenhund vor türkisblauem Swimmingpool wirkt tatsächlich nicht sehr glaubwürdig.
    »Bei uns im Garten aufgenommen. Wobei man ehrlicherweise schon zugeben muss, dass es sich eher um einen Park handelt«, fügt Jens bescheiden hinzu.
    Ich bin beruhigt. Er ist also eindeutig nicht ins Kloster gegangen. Er besitzt einen Pool und einen Park und hat der Welt sogar drei zukünftige Rentenzahlerinnen beschert; seine Mädels seien so was von hochintelligent und wollten unbedingt Medizin studieren, erzählt er, wenn es auch mit elf, zwölf und dreizehn Jahren noch zu früh sei für eine endgültige berufliche Festlegung.
    Rudolf, der nichts mehr hasst als Gespräche über nobelpreisverdächtigen Nachwuchs, deutet mit dem Kopf zur Tür. Ich bin damit äußerst einverstanden, aber vorher will ich schon noch wissen: »Sag mal, Jens, hast du eine Ahnung, wo Wolfgang steckt?«
    Er deutet mit dem Kinn auf einen Stapel – vermutlich Patientenakten, wenn ich das von hier aus so richtig erkenne – und stöhnt: »Jetzt ratet mal, wer den Laden mal wieder schmeißen darf? Na? ... Richtig! Unser lieber Jens! Der kann sich nämlich auch nichts Schöneres vorstellen als Karies morgens, Karies mittags, nachmittags Zahnfleischschwund und ...« Als er mein Gesicht sieht, sagt er knapp: »Wolfgang hat sich freigenommen.«
    »Ja, aber wo steckt er denn? Zuhause jedenfalls nicht.«
    Jens hebt theatralisch die Hände. »Bin ich der Hüter meines Kollegen? Wolfi ist alt genug, um selber zu

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