Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)
Dialekt tatsächlich keine Spur, nicht das kleinste Gell oder Ha noi.
»Du hättest Frau Blumer ja einfach fragen können«, sage ich und knipse die Nachttischlampe aus. »Ich gehe übrigens am Montag bei Papas Hausarzt vorbei und erkundige mich, was er von seinem Zustand hält. Bestimmt hat er eine Idee, was die Pflege angeht. Falls das überhaupt nötig ist. Und dann muss die Sache mit dem Auto geklärt werden, damit wir endlich unser Gastspiel hier beenden können.«
Ich lausche … Kein Protest? Kein
Ich möchte mich aber erst noch um die junge Künstlerin kümmern!
Stattdessen ein leises Schnarchen, das andeutet, dass Rudolf sich gerade in der Aufwärmphase befindet. Spätestens in einer Viertelstunde wird er zur Tigerform auflaufen. Vielleicht sollte ich doch endlich in Ohrstöpsel investieren, als Zeichen, dass ich unsere Beziehung als längerfristig ansehe.
Wieder einmal liege ich wach, es ist eng im Bett mit so vielen Problemen und einem heftig sägenden Rudolf. Ich rutsche immer weiter zur Bettkante hin, verfolgt von einer Dezibelzahl, die eigentlich sofort das Bundesumweltamt auf den Plan rufen müsste oder von mir aus auch die Europäische Kommission. Ich wälze mich hin und her, von Moni zu Renate zu Frau Blumer …
Und dann – es ist genau zwei Uhr siebenundzwanzig, wie ich auf dem Leuchtziffernwecker sehe – komme ich zu einer bahnbrechenden Erkenntnis und weiß endlich, wie ich den Höllenlärm neben mir abstellen kann – zumindest für eine Weile.
»Rudolf!« Ich schüttle ihn heftig. »Rudolf!«
»Feuer?«
»Nein«, beruhige ich ihn, »aber mir ist gerade was eingefallen. Du wolltest doch vorhin wissen, warum manchmal schwäbisch und dann wieder hochdeutsch geredet wird. Ich weiß jetzt warum: weil wir Schwaben den Slogan
Wir können alles. Außer Hochdeutsch
saublöd finden. Sehr wohl können wir Hochdeutsch. Vorausgesetzt, wir wollen. Na, klingt doch logisch, gell?«
»Sag mal, bist du verrückt? Mich deshalb mitten in der Nacht zu wecken?«
Rudolf scheint meine Begeisterung über diesen Geistesblitz nicht im Geringsten zu teilen. Dabei dachte ich wirklich, es würde ihn interessieren. Immerhin herrscht jetzt für ein paar Minuten himmlische Ruhe, und ich kann endlich einschlafen.
12. Kapitel
»Ihre Tante hat angerufen.«
»Tante Frieda?«
Frau Blumer, anscheinend gesundet, wieder in ihrer adretten Kittelschürze, Staubwedel in der Hand, steht in der Küchentür, nickt bedeutungsvoll. »I glaub, so hoißt se.« Sie scheint sich um diese Uhrzeit (es ist Viertel nach neun, und wir sitzen gerade erst beim Frühstück) noch nicht für ein bestimmtes Idiom entschieden zu haben. »Sie lässt ausrichte, dass sie heit Nachmittag vorbeikomme tät. Um halber viere zum Kaffee.«
»Aber …«
Die Tür fällt hinter ihr zu und lässt mich mit ziemlich vielen Fragen und Rudolf allein.
»Deine Lieblingstante?«, erkundigt er sich, während er hingebungsvoll Zwetschgenmarmelade auf die Seele schmiert.
»Ja … doch … eigentlich schon«, stottere ich. »Ist nur etwas überraschend. Ich hab von Frieda schon eine Weile lang nichts mehr gehört. Ehrlich gesagt, ich hab nicht mal gewusst, dass sie gerade in Aulendorf ist.«
»Jetzt weißt du es«, stellt er trocken fest und gießt sich die nächste Tasse Kaffee ein.
Ich vermute, nach meinem Geistesblitz heute Nacht hat er nicht mehr allzu gut geschlafen. Er hat Ringe unter den Augen und gähnt verdächtig oft. Ihn in seinem jetzigen Zustand als gutaussehenden Mann zu bezeichnen, würde wohl nur eine Frau tun, die über beide Ohren verliebt ist. Deshalb reagiere ich auch sehr gelassen, als er meint: »Ich werde mir jetzt noch mal ganz kurz Monis Bilder anschauen. Du weißt ja, ein zweiter Blick ist immer wichtig. Wenn du willst, kümmere ich mich anschließend um das Auto. Was hast du gesagt, wo es steht? Glasergässle?«
»Ja, das wäre lieb von dir. Nimm unbedingt den Ersatzschlüssel mit. Vergiss nicht, dass meine Tante um halb vier kommt. Und sei bloß pünktlich. Hast du gehört?«
»Deine Tante scheint dir ja ungeheuer wichtig zu sein.«
Ich überlege. Beim letzten großen Krach mit Frieda vor ein paar Jahren (vor vier, vor fünf? Ich weiß es nicht mehr so genau) habe ich sie angebrüllt, dass sie sich gefälligst um ihr eigenes Leben kümmern und sich um Himmels willen nicht mehr in meine Beziehungen einmischen solle, wie sie das immer so gern gemacht hat, egal, ob sie gerade in Aulendorf oder sonst wo war. Am Telefon hatte sie mich
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