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Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)

Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)

Titel: Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irene Zimmermann
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ich hinzu, als ich ihren zweifelnden Blick sehe. »Und meine Blutwerte sind so was von top.«
    »Ma sott scho no amol nochgucke. I find, du bisch a bissle blass. Hosch vielleicht an niedriga Blutdruck? Du, des isch fei it so ogfährlich, wie die Leit immer denket.«
    Ich muss etwas unternehmen, bevor Regina mich womöglich gleich operiert. Sie vergeht ja förmlich vor Sorge um meine Gesundheit, drückt mir bereits die dritte Broschüre in die Hand. Ein Glück, dass ich in der Apotheke eine große Tüte für meine Einkäufe bekommen habe.
    »Du meinst es ja wirklich sehr gut mit mir!«, unterbreche ich sie, nachdem sie mir auch noch das
Kleine Lexikon der Kinderkrankheiten
überreicht hat. Regina scheint mich um einiges jünger zu schätzen. Vermutlich hat sie in ihrem Eifer völlig vergessen, dass wir mal in dieselbe Klasse gegangen sind.
    »Do hätt i au no was! Wertvolle Tipps, wenn deine Enkele mit de Zähn rummachet. Oder sind die womöglich scho elter? Brauchsch du vielleicht was gega die Pubertät?«
    Ich verschweige Regina die beschämende Tatsache, dass ich überhaupt keine Kinder geschweige denn Enkel vorzuweisen habe, packe zähneknirschend das Merkblatt ein und sage schließlich: »Es geht nicht um mich, es geht um meinen Vater.«
    »Dätsch du gern au no was für ihn mitnemme? Ich hätte do diverse …«
    Ich frage mich, bei wem Regina eigentlich angestellt ist: bei Doktor Pellicano oder beim Bundesverband der deutschen Arzneimittelindustrie, die für alles verantwortlich zeichnet, was sie mir eifrig herüberreicht.
    »Ich will nur mit Doktor Pellicano sprechen. Regina, brauche ich dafür einen Termin oder kann ich ganz kurz mal in die Sprechstunde?«
    »Des isch etzt fei ziemlich bled. Unser Dokter isch für drei Woche in Urlaub, ha no, es isch halt Sommer. Mir hend etzt wiedr unsre Urlaubsvertretung. Willsch mit dem schwätze?«
    Zuerst bin ich unschlüssig, ob eine Urlaubsvertretung mir überhaupt weiterhelfen kann, aber weil Regina meint, in der Patientenakte stehe sowieso alles Wichtige drin und mehr könne Doktor Pellicano auch nicht sagen, entscheide ich mich dazubleiben.
    »Fünf Minutta. I schieb di oifach dazwischa«, flüstert sie, weil gerade der nächste Patient die Praxis betritt, und holt Papas Patientenakte. »Du kaasch scho amole ins Sprechzimmer ganga.«
    Es dauert dann aber doch länger, und ich überlege gerade, ob ich schnell in die Apotheke rennen und das Schmerzmittel holen sollte (ich habe keine Ahnung, ob vielleicht über Mittag geschlossen ist), da geht die Tür auf, und die Urlaubsvertretung steht vor mir …
    Die Überraschung ist vermutlich beiderseitig. Alfons Bäuerle (heute aber im weißen Kittel, Stethoskop in der Manteltasche) starrt mich an – und ich starre zurück.
    »Ich hätte mir denken können, dass Sie irgendwann hier aufkreuzen«, sagt er und reicht mir die Hand.
    »Warum haben Sie kein Wort davon gesagt, dass Sie Arzt sind?«
    »Sie haben mich nicht gefragt.«
    »Aber …«
    »Damit Sie es gleich wissen: Ihr Vater ist nicht mein Patient. Er ist mein Freund.«
    »Das glaube ich Ihnen ja«, murmle ich. »Aber bitte helfen Sie mir trotzdem, ich mache mir große Sorgen. Wie geht es ihm wirklich? Sie können das doch beurteilen. Es würde mich schon beruhigen, wenn Sie mir wenigstens eine ungefähre Diagnose sagen.«
    Doktor Bäuerle verschränkt die Arme vor der Brust, schweigt. In mir kriecht die Angst hoch. »Oder ist es so schlimm, dass Sie es mir nicht sagen wollen?«
    »Nein, nein, ich kann Sie beruhigen, so schlimm ist es nicht. Aber eine Diagnose werden Sie von mir nicht erfahren. Ärztliche Schweigepflicht, das wissen Sie doch. Und fangen Sie jetzt bitte nicht damit an, dass ich mehr Freund als Arzt sei. Fragen Sie besser Ihre Tante«, fügt er hinzu, als ich enttäuscht den Kopf schüttle. »Sie kann Ihnen mehr sagen.«
    »Tante Frieda? Aber …?«
    »Machen Sie das.«
    Er lächelt mich vielsagend an, streckt mir wieder die Hand entgegen, und mit mehr Fragen als Antworten verlasse ich die Praxis. Ein Arzt, der meiner Tante die Diagnose überlässt? Einer Tante, deren einzige medizinische Qualifikation darin besteht, dass in einem ihrer Liebesromane ein Giftmord passiert? Ich glaube, ich bin im Narrenhaus!
    Regina, die mir hinterherrennt und unbedingt in ihrer Mittagspause einen Salat mit mir essen will (»I tät wirklich gern wieder amol mir dir schwätze, am Samstag hot’s irgendwie it so klappt, gell, und so a Salätle isch doch was Leichts«), wimmle

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