Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)
um zu beten, doch Aldís hatte den Verdacht, dass sie sich nur vor dem Aufräumen drückten. Vielleicht saßen sie da und lasen oder erholten sich vom Tag.
Sie schaltete das Licht aus und ging in den Flur. Die Tür zum Saal war geschlossen, doch man hörte ein Murmeln, das durchaus ein Gebet hätte sein können. Aldís holte tief Luft, strich sich übers Haar und klopfte entschlossen an die Tür, bevor sie womöglich der Mut verließ. Es war wie beim Schwimmunterricht in der Schule: Manchmal war es besser, einfach ins Becken zu springen, anstatt sich vorsichtig hineinzutasten. Ohne auf ein »Herein« zu warten, öffnete sie die Tür. Lilja und Veigar saßen auf der ersten Bank und drehten die Köpfe, um zu sehen, wer es gewagt hatte, sie zu stören. Liljas Hände waren noch gefaltet.
»Was ist los?«, fragte Veigar mehr verwundert als erbost. Oder sogar besorgt. Vielleicht vermutete er eine schlechte Nachricht wegen des Stalldachs, an dem er herumgeflickt hatte.
»Ich kündige. Das wollte ich euch nur sagen.« Mehr hatte Aldís nicht vorbereitet. Es wurde still, und niemand sagte etwas. »Wann kann ich gehen?«
»Du kündigst?«, fragte Lilja gekränkt.
Veigar bewahrte die Fassung, aber man konnte heraushören, dass er ihr Verhalten unmöglich fand.
»Du kannst nicht einfach so gehen«, sagte er.
»Ich kündige. Wann kann ich aufhören?« Aldís wusste, dass sie feuerrot im Gesicht war, und wünschte sich, es wäre schon vorbei. Gleichzeitig war sie stolz auf sich. »Ich weiß, dass es eine Kündigungsfrist gibt. Wie lang ist die?«
Veigar stammelte etwas, und Aldís konnte sich nicht entsinnen, ihn jemals so gesehen zu haben.
»Willst du nicht noch mal darüber nachdenken, Aldís? Wir haben gerade erst darüber gesprochen, dass es an der Zeit ist, dein Gehalt und ein paar andere Punkte zu überdenken. Du solltest nichts überstürzen.«
»Ich bin schwanger. Ich kann nicht länger hier arbeiten. Wann darf ich aufhören?«
Die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus, wie am Morgen das Erbrochene. Etwas in ihrem Inneren sagte ihr, dass es jetzt kein Zurück mehr gab. Jener Teil von ihr, der unbedingt wegwollte, hatte die Oberhand gewonnen und wollte nicht mehr auf irgendwelche tollen Versprechungen hereinfallen.
Die beiden starrten sie an, ohne sich zu rühren. Veigar legte seinen Arm um Lilja, die ihren Blick von Aldís löste und sich auf das Bild von Jesus Christus konzentrierte.
»Hast du schwanger gesagt?«, fragte Veigar und leckte sich über die Lippen. Er konnte Aldís nicht mehr in die Augen schauen.
»Ja, ich glaube schon. Nein, ich weiß es. Ich muss aufhören.« Aldís klammerte sich an den Türrahmen, um nicht überstürzt wegzurennen.
»Wer ist der Vater? Ist er von hier?«
»Das geht niemanden was an.« Sie wurde noch röter und krallte sich noch fester an den Türrahmen.
»Willst du das Kind behalten?«, frage Lilja und glotzte dabei immer noch auf Jesus, als sei die Frage an ihn gerichtet.
»Ja, das wird sich schon klären.«
Aldís spürte plötzlich, wie lächerlich das alles war. Sie wusste noch nicht mal sicher, ob sie schwanger war, und hatte sich natürlich noch keine Gedanken darüber gemacht, was aus dem Kind oder ihr selbst werden würde. Dafür war sie viel zu verzweifelt – das durfte einfach nicht sein! Doch wenn es so war, musste sie es akzeptieren. Vielleicht würde Einar ja die Verantwortung übernehmen. Es wäre zweifellos leichter, die Sache mit ihm gemeinsam zu schultern, denn sie wusste aus eigener Erfahrung, wie es war, mit einer alleinerziehenden Mutter aufzuwachsen. Und sie wollte nicht wie ihre Mutter werden, wie sehr sie sie auch liebte. Einar und sie mussten gemeinsam damit klarkommen. Das wäre für das Kind und für sie selbst am besten. Und für ihn. Doch erst mussten ein paar Dinge geklärt werden.
Veigar schien ihre Gedanken lesen zu können.
»Wenn der Vater der ist, von dem ich es glaube, dann kann er dir vielleicht helfen, wenn du es nicht bekommen willst«, sagte er und stand auf.
Aldís verstand nicht genau, was er meinte, spürte aber, dass es nichts Angenehmes war. Mit einem Schlag überkam sie wieder die Wut über die Briefe und das Verhalten der beiden.
»Halt bloß den Mund! Mein Kind wird jedenfalls nicht irgendwo in der Pampa vergraben«, stieß sie wütend hervor. »Bei lebendigem Leib!«
Sie wartete Veigars Reaktion nicht ab, sondern rannte in den Flur und holte erst wieder Luft, als sie draußen auf dem Hof stand. Hinter sich hörte
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