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Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)

Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)

Titel: Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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dir sicher, dass du es nicht warst? Wir hatten echt viel getrunken, und du warst ziemlich … du weißt schon.«
    »Ich war es nicht«, insistierte Aldís und hob das Fladenbrot wieder an ihren Mund, doch als ihr der Geruch des eingetrockneten Mehls in die Nase stieg, ließ sie es wieder sinken. Ihr war der Appetit vergangen. »Ich bin aufgewacht, als noch niemand aufgestanden war, und bin dann noch mal rausgegangen.«
    Das nächtliche Bad und die damit verbundene Absicht erwähnte sie lieber nicht. Sie wollte nicht mit Einar über Sex oder ihre Beziehung reden. Wenn keiner von ihnen darüber sprach, war es fast so, als wäre gar nichts zwischen ihnen passiert. Mit der Zeit würden sie es dann beide vergessen, und damit wäre es aus der Erinnerung gelöscht. Und somit nicht geschehen. Dachte sie zumindest.
    »Da habe ich Lilja dann gesehen. Draußen am Stall. Das war lange, nachdem du reingegangen warst«, fügte sie hinzu.
    »Womit es noch unwahrscheinlicher ist, dass Lilja bei mir am Fenster war. Es hat nämlich geklopft, kurz nachdem ich reinkam. Sie hat sich ja wohl nicht stundenlang da draußen rumgetrieben. Was hat sie denn eigentlich gemacht, als du sie gesehen hast?«
    »Gesungen. Vor einem Baum.«
    Einar machte ein verdutztes Gesicht.
    »Wenn du mit mir zum Stall kommst, zeige ich es dir.« Er rührte sich nicht, und Aldís fügte hinzu: »Da ist jetzt niemand. Wenn wir uns hinter den Häusern entlangschleichen, sieht dich keiner.«
    Einar stand betont lässig auf, obwohl er zweifellos am liebsten zurück zu seinen Büchern gegangen wäre, um nicht beim Schwänzen erwischt zu werden.
    »Ich sage einfach, ich wäre aufs Klo gegangen. Das funktioniert bestimmt«, sagte er.
    Sie wussten beide, dass niemand dieser Erklärung Glauben schenken würde. Lilja und Veigar würden Einar zusammenstauchen und nach eigenem Gutdünken bestrafen. Dennoch stiefelten sie schweigend durch den Schnee zum Stall. Noch immer schneite es leicht. Falls Wind aufkam, würde es Schneeverwehungen geben und dann müsste Aldís am nächsten Tag die Türen freischaufeln, während die Arbeiter und die Jungen die Zufahrt zum Hof räumten. Der Vogel begleitete sie und flog tschilpend ein Stück des Weges über ihnen, als wolle er Aldís daran erinnern, dass sie ihm noch Futter bringen musste, gab aber bald auf und kehrte um.
    »Da hat sie gestanden«, sagte Aldís und zeigte auf den Baum, der ein paar Meter vom Giebel des Stalls entfernt stand.
    »Hat sie sich darangelehnt? Hat sie zu Gott gesungen? Hat sie in den Himmel geschaut?«
    »Nein, sie stand einfach nur da und hat geradeaus geschaut. Auf den Baum.«
    Einar stellte keine weiteren Fragen und ging über den weichen Schneeteppich auf den Baum zu.
    »Die beiden sind echt total seltsam. Sie noch mehr als er«, sagte er, während er durch den Schnee um den Baum herumstapfte, um nach Spuren zu suchen. Vielleicht, um sich zu vergewissern, dass Aldís die Wahrheit sagte. Dann bückte er sich und strich an der Stelle, wo Lilja gestanden hatte, mit der Hand über den kalten Schnee.
    »Glaubst du mir etwa nicht?«
    Aldís trat hinter ihm von einem Bein aufs andere, ihr war kalt, und sie wollte wieder unter ihre Bettdecke. Dieser Tag war vermasselt und konnte nur noch schlimmer werden. Sie hätte einfach in ihrem Zimmer bleiben sollen.
    »Doch«, antwortete er geistesabwesend, mehr an dem Schnee als an ihr interessiert. »Sieh mal!« Er richtete sich auf und hielt ihr seine Hand hin. Sie war rot vor Kälte, und in seiner Handfläche lag ein kleines Holzstück, aus dem ein Herz geschnitzt war. »Ob Lilja das verloren hat?«
    Aldís hielt das Herz vorsichtig zwischen ihren Fingern, als könne es in ihrer Hand zerbröseln. Es war seltsam feucht und warm und schwerer, als sie erwartet hatte.
    »Ich weiß es nicht, das habe ich nicht gesehen.«
    »Vielleicht hat sie es ja auch absichtlich da hingelegt.«
    Sie tauschten einen Blick, weitere Worte waren nicht nötig. Sie hatten das Grab des Säuglings entdeckt. Dort lag er unter ihren Füßen am äußersten Rand des Hofplatzes. An den Wurzeln eines einsamen Baums, der genauso wenig an diesen Ort gehörte wie die zarten Kinderknochen. Aldís wurde rot vor Scham, dass sie jemals auf die Idee gekommen war, mit der Leiche Schabernack zu treiben. Manche Dinge waren einfach unentschuldbar, egal, wie betrunken man war. Nie mehr.
    Es wurde immer kälter, und Aldís fing wieder an zu zittern, wenn auch nicht so schlimm wie in der Badewanne. Schnell legte sie

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