Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)
das Herz zurück an seinen Platz und bedeckte es mit Schnee.
»Ich will hier nicht länger sein. Komm«, sagte sie zu Einar und hoffte, dass er genauso beunruhigt war wie sie. Und sei es auch nur, weil Lilja und Veigar ausrasten würden, wenn sie sie bei dem Baum sähen. Ihnen wäre sofort klar, was Aldís und Einar entdeckt hatten. Doch sein Blick war weder unstet noch ängstlich. Im Gegenteil. Er sah zufrieden und entspannt aus. Keine Spur von Scham über ihre abartigen Ideen in der Nacht. Aldís schlotterte nun wieder genauso stark wie am frühen Morgen.
19. Kapitel
Der dunkelrote Wein wirkte dickflüssig, obwohl er leicht durch die Kehle rann. Óðinn schwenkte ihn in dem langstieligen, bauchigen Glas und beobachtete, wie der Strudel anschwoll und immer höher zum Rand schwang, je schneller er wurde. Dann stellte er das Glas ab.
»Schmeckt er dir?«, fragte seine Schwägerin Sigga, die nicht mit einer positiven Antwort zu rechnen schien.
Óðinn saß auf einem Barhocker an der Kücheninsel bei Baldur und Sigga und schaute zu, wie sie einen Berg Pilze in einer großen Pfanne briet. Die Menge ließ vermuten, dass noch mehr Gäste kämen, aber in diesem Haus wurde immer reichlich gekocht. Während Sigga die Pilze schnitt, hätte Óðinn sie gerne darauf hingewiesen, dass Rún wie die meisten Kinder keine Pilze mochte, hielt aber den Mund, weil er ihr ihre Kinderlosigkeit nicht so direkt unter die Nase reiben wollte. Er hatte nie mit seiner Schwägerin über die Schwierigkeiten des Ehepaars, Kinder zu bekommen, gesprochen, wusste aber von seinem Bruder, dass ihr das schwer zu schaffen machte.
»Baldur hat die Flasche im Sommer aus dem Ausland mitgebracht und war ganz gespannt, sie zu probieren«, fügte sie hinzu.
»Sehr gut.«
Óðinn trank noch einen Schluck, damit das überzeugender klang. Der Wein schmeckte intensiver, als er es gewohnt war, und war wahrscheinlich zu fein für seinen ungeübten Geschmack. Ein vertrautes, wohliges Gefühl durchfuhr ihn, aber er hätte trotzdem lieber ein Bier gehabt. Sigga zuckte die Achseln und rührte weiter in der Pilzpfanne. Die Butter brutzelte, und auf die schwarze Kochplatte spritzten Tropfen von heißem Fett.
»Ich mag lieber Weißwein, wenn ich ganz ehrlich bin«, sagte sie.
Als das heiße Fett hochspritzte, zog sie ruckartig ihre Hand zurück, führte sie an ihre Lippen und schüttelte sie dann kräftig, wie um den Schmerz abzuschütteln. Ihr sonnengebräunter Arm passte nicht zu der isländischen Winterlandschaft. Hinter der großen Glastür, die auf die Veranda führte, glitzerte der weiße Schnee. Baldur stand draußen in der Kälte und grillte, was ebenso wenig zu dieser Jahreszeit passte. Es war, als hätten sie vereinbart, so zu tun, als sei Sommer. Neben ihm stand Rún und verfolgte gespannt, wie er mit dem riesigen silbernen Grill herumhantierte, der bestimmt ein Vermögen gekostet hatte.
»Verdammt!«
»Brauchst du ein Pflaster?«, fragte Óðinn und lehnte sich über die Kochinsel, um besser sehen zu können.
Sigga streckte ihren schlanken Arm aus und zeigte ihm die Stelle.
»Ist nicht schlimm, tut nur ein bisschen weh.«
Als sie ihren Arm wieder zurückzog, klirrten die bunten Armbänder an ihrem Handgelenk, die sie bei ihrem Strandurlaub gekauft haben musste. Baldur und Sigga wollten eigentlich gemeinsam fahren, aber er war wegen der Arbeit daheimgeblieben. Óðinn verstand gut, warum sie sich nach einem Kind sehnte. Im Grunde war sie genauso alleine wie er, bevor Rún zu ihm gezogen war. Baldur war immer auf der Arbeit, und Óðinn bezweifelte, dass er einen Unterschied zwischen dem Wochenende und normalen Arbeitstagen machte. So war es bei ihm auch gewesen, als er für seinen Bruder gearbeitet hatte, da er ja sonst nicht viel zu tun gehabt hatte. Wobei das natürlich nicht der Grund für Baldurs Arbeitseifer war, denn ihm gehörte die Firma, und er durfte nicht den Anschluss verlieren, wenn er und seine Frau ihren gewohnten Standard beibehalten wollten. Letztendlich war sich Óðinn nicht sicher, ob Sigga nicht lieber ein normales Familienleben und einen anwesenden Ehemann gehabt hätte als Bequemlichkeit und Luxus. Aber das konnte er nicht beurteilen. Dafür kannte er sie nicht gut genug, obwohl sie seit zehn Jahren zur Familie gehörte.
»War’s schön im Urlaub?«, fragte Óðinn und wünschte sich, dass Rún und Baldur wieder hereinkämen. Es wäre unhöflich gewesen, aufzustehen und sich zu ihnen rauszustehlen, aber ihm fielen einfach
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