Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)
keine Gesprächsthemen mehr ein.
»Doch, doch, vergleichsweise ganz nett.« Sie musste gar nicht erklären, womit sie den Urlaub verglich, denn das lag auf der Hand. »Ein bisschen einsam, aber erholsam. Gut, mal aus diesem Mistwetter rauszukommen.«
Óðinn freute sich im Geheimen, dass sie das unerschöpfliche Thema Wetter ansprach, aber er hatte sich zu früh gefreut, denn Sigga fügte hinzu:
»Ich hätte Rún mitnehmen sollen. Es hätte ihr gutgetan, mal wegzukommen.«
»Das ist vielleicht noch ein bisschen früh«, meinte Óðinn und schaute zu Rún, die mit den Füßen im Schnee stampfte, um sich warm zu halten. Dann drehte sie sich zu Baldur und lächelte über etwas, das er gesagt hatte. Es war so lange her, dass Óðinn sie richtig lächeln sehen hatte, dass er schon fast vergessen hatte, dass sie es konnte. Aber in Baldurs Nähe fühlte sie sich immer gut, wie alle anderen auch. Sein Optimismus war einfach ansteckend.
»Sie hat sich noch nicht ganz gefangen«, sagte er. Aber vielleicht hatte Sigga nicht ganz unrecht, möglicherweise war ein sorgenfreier Urlaub genau das, was das Kind brauchte. »Wir wollen im Sommer zusammen nach Spanien fahren … wenn sie das Handballtraining den Winter über durchhält.«
»Machst du Witze? Willst du etwa nicht mit ihr fahren, wenn sie es aufgibt?«, fragte Sigga und glotzte ihn überrascht an. Ihr Gesicht war genauso braun wie ihr Arm, so dass ihr blondes Haar fast weiß wirkte. Es war, als sei sie gar nicht in Island zu Hause, als sei sie aus einem fernen Land des ewigen Sommers an Land gespült worden. Óðinn konnte sich nicht erinnern, sie nach einem Urlaub schon mal so braun gesehen zu haben – vermutlich war die Reise extrem ereignislos gewesen. Aufstehen, zum Pool gehen, zurück ins Zimmer, schlafen. Denselben Tag vierzehnmal wiederholen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Rún das genossen hätte. Ihre Reise würde ganz anders werden. Falls sie überhaupt fuhren.
»Sie hält schon durch, darüber mache ich mir keine Gedanken«, entgegnete er.
»Das sagst du. Mir gegenüber hat sie erwähnt, dass sie diesen Sport hasst.« Sigga schaltete die Herdplatte unter den Pilzen aus, die etwas dunkler geworden waren. »Ich verstehe sie gut. Ich musste als Kind auch Handball spielen und fand es furchtbar. Man wusste nie, ob man nicht jeden Moment einen knallharten Ball in die Seite oder ins Gesicht bekommt. Ich war heilfroh, als ich aufhören durfte.«
Óðinn wollte widersprechen und die Vorzüge dieses Sports aufzählen, hielt aber inne, als die Tür aufging. Kälte strömte herein, zusammen mit dem Geruch von gegrilltem Fleisch, das als ansehnlicher Stapel auf Baldurs Tablett lag. Rún hielt Baldurs Weinglas fest, und es war ziemlich seltsam, sie damit zu sehen, in ihrer orangefarbenen Kinderjacke und einer bunten Wollmütze auf dem Kopf.
»Seid ihr nicht schon erfroren?«, fragte Óðinn.
»Ach wo, hältst du uns für solche Weicheier?« Baldur blinzelte Rún zu, stellte das Fleisch auf den Küchentisch und nahm sein Glas entgegen. Er trug seine Jacke über einer Schürze mit dem Spruch Sei nett zu mir, sonst vergifte ich dein Essen , ein Geburtstagsgeschenk seiner Mitarbeiter aus der Zeit, als Óðinn bei ihm gearbeitet hatte. »Apropos Weicheier. Wie läuft’s in deinem neuen Job? Immer noch so schlimm wie am Anfang?«
Óðinn errötete, obwohl er nicht genau wusste, warum. Er hatte zwar keinen so abwechslungsreichen und spannenden Job mehr wie vorher, brauchte sich aber auch nicht dafür zu schämen.
»Nein, nein, ich habe ein ganz interessantes Projekt.«
»Ach? Was denn? Zählt man jetzt vielleicht die Laternenpfähle an der Reykjanesbraut? Hat man die Vermutung, dass einer abhanden gekommen ist?« Baldur trank einen Schluck Wein. »Mann, ist der gut.«
Er lächelte Sigga an, die zurücklächelte und auch einen Schluck trank. Über den Rand ihres Glases blinzelte sie Óðinn zu, der zurückprostete.
»Nein, es geht um eines dieser Erziehungsheime, die der Staat betrieben hat, aber es war eins für ältere Jungen, die auf Abwege gekommen waren. Ist vielleicht nicht ganz passend, jetzt darüber zu reden«, sagte Óðinn und nickte in Rúns Richtung, die gerade ihre Jacke auszog.
»Ich war mit Papa auf der Arbeit«, sagte sie zu Baldur. »Aber die ist nicht so toll wie deine. Da sitzen alle nur am Computer.«
»Genau, darauf trinken wir!«, sagte Baldur, lächelte in die Runde und wandte sich dann an Óðinn. »Warum hörst du nicht einfach da
Weitere Kostenlose Bücher