Seelen
Licht zu, das von Sekunde zu Sekunde heller wurde. Ich lauschte auf die dazugehörigen Schritte, hörte aber nichts.
»Ich werde mich nicht verstecken«, wisperte er. »Stell dich hinter mich, Wanda.«
»Nein!«
»Jamie!«, rief Jared. »Ich weiß, dass du dahinten bist!«
Meine Beine fühlten sich taub an. Musste es ausgerechnet Jared sein? Es wäre so viel leichter für Jamie, wenn Kyle mich umbrachte.
»Geh weg!«, rief Jamie zurück.
Das gelbe Licht kam schnell näher und wurde zu einem Kreis auf der Wand.
Jared kam um die Ecke marschiert und die Taschenlampe in seiner Hand schwang über dem Steinboden hin und her. Er war jetzt sauber und trug ein ausgeblichenes rotes Hemd, das ich wiedererkannte - es hatte in dem Raum gehangen, in dem ich wochenlang gelebt hatte, und war daher ein vertrauter Anblick. Sein Gesicht war ebenfalls vertraut - es hatte exakt denselben Ausdruck, mit dem er mich immer ansah, seit ich hier aufgetaucht war.
Der Strahl der Taschenlampe schien mir ins Gesicht und blendete mich. Ich wusste, dass das Licht von dem Silber hinter meinen Augen hell reflektiert wurde, denn ich bemerkte, wie Jamie zusammenfuhr - nur ein kleines Zucken, dann stellte er sich noch breitbeiniger hin.
»Geh weg von dem Parasiten!«, stieß Jared hervor.
»Halt’s Maul!«, brüllte Jamie zurück. »Du kennst sie nicht! Lass sie in Ruhe!«
Er klammerte sich an mich, während ich versuchte, seine Hände zu lösen.
Jared stürzte wie ein wütender Stier auf uns zu. Mit einer Hand packte er Jamie hinten am Hemd und riss ihn von mir weg. Er schüttelte den Jungen, während er brüllte: »Du bist so ein Idiot! Merkst du nicht, wie es dich benutzt?«
Instinktiv schob ich mich in den schmalen Zwischenraum zwischen ihnen. Wie ich beabsichtigt hatte, führte mein Vorsicht dazu, dass er Jamie losließ. Ich hatte dagegen nicht beabsichtigt was noch passierte - die Art, wie sein vertrauter Geruch auf meine Sinne einstürmte, die Art, wie sich die Konturen seiner Brust unter meinen Händen anfühlten.
»Lass Jamie in Ruhe«, sagte ich und wünschte mir ausnahmsweise so zu sein, wie Melanie mich gerne gehabt hätte - mit starken Händen und kräftiger Stimme.
Er schnappte mit einer Hand meine Handgelenke und schleuderte mich von ihm weg gegen die Wand. Der Aufprall traf mich überraschend und raubte mir den Atem. Ich prallte von der Felswand ab und landete wieder in den Kartons, wo ich mit einem erneuten knisternden Sturz noch mehr Zellophan zerfetzte.
Mein Puls hämmerte mir in den Ohren, während ich unglücklich verdreht auf den Kartons lag, und einen Moment lang zogen seltsame Lichter vor meinen Augen vorbei.
»Feigling!«, schrie Jamie ihn an. »Sie würde dir noch nicht mal etwas tun, um ihr eigenes Leben zu retten! Warum kannst du sie nicht einfach in Ruhe lassen?«
Ich hörte, wie die Kartons zur Seite geschoben wurden, und spürte Jamies Hände auf meinem Arm. »Wanda? Alles okay mit dir, Wanda?«
»Klar«, schnaufte ich und ignorierte das Hämmern in meinem Kopf. Im Schein der Taschenlampe, die Jared fallen gelassen haben musste, konnte ich Jamies ängstliches Gesicht über mir sehen. »Du solltest jetzt gehen, Jamie«, flüsterte ich. »Lauf.«
Jamie schüttelte energisch den Kopf.
»Geh endlich weg von dem Parasiten!«, brüllte Jared.
Ich sah, wie Jared Jamie an den Schultern packte und den Jungen aus der Hocke hochriss. Die Kartons, die davon aus dem Gleichgewicht gebracht worden waren, stürzten wie eine kleine Lawine auf mich herab. Ich rollte mich zur Seite und bedeckte meinen Kopf mit den Armen. Ein schwerer Karton traf mich direkt zwischen den Schulterblättern und ich schrie auf vor Schmerz.
»Hör auf, ihr wehzutun!«, heulte Jamie.
Ein lautes Knacken war zu hören und jemand stöhnte auf.
Ich kämpfte mich unter dem schweren Karton hervor und stützte mich benommen auf die Ellbogen.
Jared hielt eine Hand vor seine Nase und etwas Dunkles rann ihm über die Lippen. Seine Augen waren vor Überraschung geweitet. Jamie stand vor ihm, beide Hände zu Fäusten geballt, mit einem zornigen Ausdruck im Gesicht.
Jamies Zorn schwand schnell, während Jared ihn entsetzt anstarrte. Jetzt spiegelte sich Verletztheit in seinem Gesicht - Verletztheit und ein so ausgeprägtes Gefühl, verraten worden zu sein, dass sein Blick es mit Jareds Gesichtsausdruck in der Küche aufnehmen konnte.
»Du bist nicht der Mann, für den ich dich gehalten hatte«, flüsterte Jamie. Er sah Jared an, als sei er weit weg,
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