Seelen
Löwen schlafen zu legen. Es machte ihnen mehr Angst als alles andere. Ian sagte, er wurde lieber einen bewaffneten Sucher angreifen.
Kyle weigerte sich ganz einfach. Er schlief meistens tagsüber im Lieferwagen und hielt dann nachts Wache.
Für mich war es genauso leicht wie das Einkaufen. Ich meldete uns an der Rezeption an und unterhielt mich mit dem Hotelangestellten. Erzählte die Geschichte von meinem Lebensgefährten, dem Fotografen, und dem Freund, der mit uns unterwegs war (nur für den Fall, dass jemand uns alle drei ins Zimmer gehen sah). Ich benutzte verbreitete Namen von unspektakulären Planeten. Manchmal waren wir alle Fledermäuse: Word Keeper, Sings the Egg Song und Sky Roost. Manchmal waren wir Seething: Twisting Eyes, Sees to the Surface und Second Sunrise. Ich dachte mir jedes Mal neue Namen aus. Nicht, dass irgendjemand uns auf der Spur gewesen wäre. Aber dadurch fühlte sich Melanie sicherer. Bei alldem kam sie sich vor wie eine Figur aus einem Agentenfilm der Menschen.
Das Schwierigste, das, was mir wirklich etwas ausmachte, war, all diese Dinge zu nehmen, ohne irgendetwas zurückzugeben - nicht, dass ich das vor Kyle sagen würde, der immer bereit war, meine Absichten anzuzweifeln. Es hatte mich nie gestört, in San Diego einzukaufen. Ich hatte mir genommen, was ich brauchte, und sonst nichts. Dann verbrachte ich meine Tage an der Uni und gab der Gemeinschaft etwas zurück, indem ich andere an meinem Wissen teilhaben ließ. Keine anstrengende Berufung, aber eine, die ich ernst nahm. Ich übernahm auch meinen Anteil an den unangenehmeren Aufgaben. Ich leistete meinen Tag bei der Müllabfuhr und der Straßenreinigung ab. Das taten wir alle.
Und jetzt nahm ich so viel mehr und gab nichts zurück. Das kam mir selbstsüchtig und falsch vor.
Es ist nicht für dich. Es ist für andere, erinnerte mich Melanie, als ich darüber brütete.
Trotzdem fühlt es sich falsch an. Das kannst doch sogar du spüren, oder?
Denk einfach nicht darüber nach, war ihr Lösungsvorschlag.
Ich war froh, dass wir bereits auf dem Rückweg unserer langen Tour waren. Morgen würden wir bei unserem anwachsenden Zwischenlager vorbeifahren - einem Umzugswagen, der etwa eine Tagesreise von unserem Pfad entfernt versteckt war - und zum letzten Mal den Lieferwagen leeren. Nur noch ein paar Städte, ein paar Tage, durch Oklahoma Richtung Süden, dann New Mexico und schließlich, ohne anzuhalten, durch Arizona zurück.
Wieder nach Hause. Endlich.
Wenn wir statt in dem engen Lieferwagen in einem Motel schliefen, checkten wir in der Regel erst nach Einbruch der Dunkelheit ein und reisten bereits vor Sonnenaufgang wieder ab, um zu vermeiden, dass uns die Seelen allzu genau zu Gesicht bekamen. Auch wenn das nicht wirklich nötig gewesen wäre.
Jared und Ian fingen an, das einzusehen. Weil der Tag heute so erfolgreich gewesen war - der Lieferwagen war bis oben hin voll und Kyle würde kaum Platz haben - und weil Ian fand, dass ich müde aussah, hielten wir an diesem Abend schon früher. Die Sonne war noch nicht untergegangen, als ich mit der Plastikkarte, die als Zimmerschlüssel diente, zum Lieferwagen zurückkam.
In dem kleinen Motel war nicht viel los. Wir parkten dicht vor unserem Zimmer und Jared und Ian gingen nur fünf oder sechs Schritte vom Lieferwagen zur Tür, den Blick zu Boden gerichtet. Dünne, blassrosa Linien in ihren Nacken sorgten für Tarnung. Jared trug einen halbleeren Koffer. Niemand sah sie oder mich an.
Die Vorhänge im Zimmer waren zugezogen und die Männer entspannten sich ein bisschen.
Ian ließ sich auf das Bett fallen, in dem er und Jared schlafen würden, und schaltete den Fernseher ein. Jared stellte den Koffer auf den Tisch, nahm unser Abendessen heraus - kalt gewordene fettige, panierte Hähnchenstreifen, die ich in der Feinkostabteilung des letzten Supermarkts bestellt hatte und reichte es herum. Ich saß am Fenster und blickte durch eine Ecke auf die untergehende Sonne, während ich aß.
»Du musst zugeben, dass das menschliche Unterhaltungsprogramm besser war, Wanda«, zog mich Ian auf.
Auf der Mattscheibe rezitierten zwei Seelen ihren Text, ihre Körper in perfekter Pose. Es war nicht schwer zu verstehen, wovon die Geschichte handelte; die Drehbücher der Seelen boten nicht besonders viel Abwechslung. Hier ging es um zwei Seelen, die sich nach langer Trennung wiederbegegneten. Der Aufenthalt des Mannes beim Sehtang hatte sie auseinandergerissen, aber dann hatte er beschlossen, ein
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