Seelenbrand (German Edition)
ein Riegel vorgeschoben, vom Pfarrhaus hättest du ihn ohnehin nicht betreten können.«
»Tja ...«, Pierre überlegte und spielte gedankenversunken mit den goldenen Münzen, die klimpernd in ihrem Sack hin und her sprangen. »Was ist denn das für eine?« Er nahm das kleine Stück Gold zwischen seine Finger und hielt es vor die Lampe.
»Zeig mal!« Mit Kennerblick bewegte sie das unscheinbare Ding zweimal vor ihren Augen hin und her. »Das soll Kaiser Justinian sein.«
»Und wer war das?«
Marie brauchte nur kurz nachzudenken. »Er war im 6. Jahrhundert nach Christus römischer Kaiser in Konstantinopel und ließ die Hagia Sophia errichten ... damals übrigens die größte Kirche der Christenheit.«
»Hm«, Pierre strich sich über sein Kinn. Daß seine Haushälterin hübsch war, stand ja außer Frage ... aber mit ihrem Wissen überraschte sie ihn immer wieder. Sie mußte also doch noch etwas anderes gelesen haben, als ihre Herz-Schmerz-Bücher. Ohoh, wenn sie wüßte, daß er wußte ... »Und was macht der Kaiser in unserem Keller?«
Sie griff sich wahllos eine Handvoll Münzen heraus und ließ sie – nachdem sie sie kurz in Augenschein genommen hatte – nacheinander wieder unter hellem Klimpern in den Sack fallen. »Hier eine Golddublone aus Spanien ... dieses ist eine Dukate aus ... Venedig und hier ein Goldgulden aus ... Deutschland! Die stammen von überall!« Sie sah ihn an. »Und das sind nur die paar, die ich schnell zusammengerafft habe, bevor ... mir die Sache zu unheimlich wurde.«
»Unheimlich?«
»Tja ...«, sie suchte nach den richtigen Worten. »Der Ritter hat sich zwar nicht mehr bewegt, aber irgendwie ... und als der Ring dann auch nicht abging, von seiner Hand ... dann bin ich lieber schnell weitergegangen.«
Pierre blieb augenblicklich die Spucke weg. »Du hast einen Toten ausgeraubt?« fragte er ungläubig nach.
Ohne das geringste Schuldempfinden sah sie ihn an. »Hättest du mir denn sonst geglaubt, daß es da unten Gold gibt? Außerdem hab’ ich ihm noch mehr als genug dagelassen. Und in die anderen Sarkophage ... da hab’ ich ja noch nicht einmal reingesehen. Nur in seinen, der stand nämlich offen ...«
Verwundert über soviel Unverfrorenheit – oder Kühnheit, ganz wie man es betrachtete – sah er sie an.
»Und dann bin ich eben diese ganzen Gänge entlanggelaufen. Nur gut, daß ich den Vorratskanister mit dem Petroleum hatte. Überall lagen Knochen.« Sie schüttelte sich. »Viele der Schädel, die mir vor die Füße fielen, hatten eine Art ... rituellen Spalt in der Schädeldecke, etwa so ... hm, ja ... wie von einem Schwerthieb getroffen.«
»Hat man diese Leute da unten etwa alle ermordet? Unter der Kirche?« Er war entsetzt. Vielleicht war das ja ein Indiz für das Böse, das hier unter seinen Füßen absichtlich eine blutige Spur hinterlassen hatte? Denn er suchte immer noch nach einer Erklärung für die Inschrift in der Kirche, die Teufelsfigur im Eingang und dieses widerliche Moos, das ihm die Hand hochgewachsen war, als er die Türklinke der Kirche zum erstenmal berührt hatte.
»Nein, nein«, winkte Marie ab. »Kein Massenmord!«
»Woher willst du das wissen?«
»Weil ich so etwas studiert habe! Archäologie! Schon vergessen?«
»Dann spann mich nicht länger auf die Folter!«
»Die Schädel mit diesem Zeichen stammten schon aus der Zeit der Merowinger!«
»Merowinger? Was denn ... die sind jetzt auch noch da unten?« Gähnend fuhr er sich durch die Haare. »Hilf mir mit diesen Merowingern bitte mal ein bißchen auf die Sprünge ... und erklär mir vor allem, was die nun schon wieder mit unserem Geheimnis zu tun haben!«
Sie holte tief Luft. »Tatsache ist, daß sie zwischen dem fünften und siebten Jahrhundert weite Teile unseres Landes beherrscht haben. Und ein gewisser Merowech, der eben am Anfang dieser Königsdynastie stand, soll angeblich von zwei Vätern stammen.«
»Aha?« Pierre machte es sich bequem. Märchenstunde!
»Ja, seine Mutter, die ihn bereits in sich trug, soll – der Sage nach – von einem Seeungeheuer überfallen worden sein, als sie im Meer badete. Und deshalb soll dieser Merowech über übernatürliche Kräfte verfügt haben.«
»Aha?« Er sah sie skeptisch an. Erstaunlich, welchen Hokuspokus man in Archäologie lernen muß!
»Ich berichte dir ja nur, was in den Sagen steht. Du wolltest es ja unbedingt wissen.«
»Und weiter?«
Sie überlegte einen Moment. Draußen begann es bereits zu dämmern. »Also, als Folge dieses
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