Seelenbrand (German Edition)
Röhre wirkte lebensbedrohlich. Nicht auszudenken, wenn sie steckenblieben.
»Bäh! Hier liegen noch Schädel herum, erschrecken Sie sich nicht, wenn Sie drüberkriechen!« Unter seinem Knie knackte ein Knochen, den das Wasser vergessen hatte. »Ist ja widerlich! Hier liegt noch einer!« Der Tunnel war so eng, daß er Mühe hatte, den Totenkopf mit seinen Glotzaugen zwischen seinen Knien durchzuschieben.
»Ich seh’ gar nicht hin!« kam es tapfer von hinten.
»Archäologie und Schädel passen doch eigentlich ganz gut zusammen, oder nicht, Marie?«
Seine Stimme wurde, obwohl er sehr laut sprach, derartig von den Wänden geschluckt, daß es sich anhörte, als hielte er sich ein Kissen vor den Mund. Mit der plumpen Konversation wollte er seiner armen Begleitung nur die Zeit verkürzen, denn er hatte wirklich keine Ahnung, wie lange sie noch durch diesen Rattengang kriechen mußten.
»Na ja, was Sie so alles über Archäologie wissen, das ist ja wirklich erstaunlich! Ich meine ... für einen Mann!« rief sie schon wieder deutlich frecher zurück.
»Ein Luftzug!«
Stille.
»Ja, ganz deutlich! Wir haben es gleich geschafft. Da hinten ist der Ausgang, ich kann ihn genau sehen!«
Mit letzter Kraft krochen sie dem Ende des Tunnels entgegen. Draußen herrschte rabenschwarze Nacht, als sie sich durch das Gebüsch zwängten, das den Zugang von außen verdeckte.
»Wissen Sie wo wir hier sind, Marie?«
Sie sah sich kurz um. »Ja! Ich kenne diese Stelle, sie liegt unterhalb der Stadt. Der Friedhof ist irgendwo da oben. Da hinten muß ein Weg sein!«
Nur mit Mühe konnten sie sich in der Dunkelheit durch das Gebüsch zwängen.
»Was ist mit unserer Lampe, Abbé?«
»Ich hab’ sie ausgemacht, oder wollen Sie Ihrer Tante erklären, was Sie hier mitten in der Nacht mit Ihrem Pfarrer machen?«
»Meinten Sie die Geschichte mit Ihrem Pater Gladius vorhin wirklich ernst? Daß wir über die Dinge hier schweigen müßten, sonst ...«
»Todernst!«
»Ah, hier ist der Weg«, flüsterte sie, als sie den letzten Busch zur Seite gedrückt hatte. »Ich hatte recht. Von dieser Stelle aus hat man am Tage einen atemberaubenden Blick auf das Tal und die Templerburgen. Ein toller Platz! Ich war schon einige Male zum Malen hier. Da hinten liegt irgendwo die Ruine von Blanchefort, dem Stammsitz Bertrand de Blancheforts, einem Großmeister des Templerordens.«
»Dort, wo das Licht brennt?« fragte Pierre leise zurück, als Marie schon einige Meter vorgegangen war.
»Was?« Eilig kam sie auf ihren verschlammten Socken den Weg zurückgetippelt. »Da wohnt doch schon ewig niemand mehr!«
Gebannt sahen sie zur Ruine hinüber.
8
»Ah, Abbé du Lac! Kommen Sie doch bitte herein. Wir haben schon auf Sie gewartet.« Madame Pauline öffnete ihm übereifrig die Haustür der Pension. Ihre Massen waren – wie immer – in einer weißen Schürze eingezwängt und versperrten ihm beinahe den Weg, als er eintreten wollte. »Gehen Sie nur durch, die anderen sind schon im Wohnzimmer.« Sie schloß die Tür und kam hastig hinter ihm hergetippelt.
Ja, so nett sie auch war, aber das war einer dieser Tage, die er haßte. Und wie! Kaffeeklatsch mit seinen Pfarrkindern! Es war mal wieder eine jener heimtückischen Einladungen, die er einfach nicht umgehen konnte, ohne die Leute vor den Kopf zu stoßen. Gewöhnlich hatte er seine viele Arbeit vorgeschoben, um später zu kommen oder gar nicht zu erscheinen. Aber hier? Außer der einen kleinen Messe, die er sonntags hielt, gab es hier in Rennes für ihn nichts zu tun. Es kam ja ohnehin niemand zu ihm. Keine Taufe, keine Hochzeit, nicht einmal eine Beerdigung. Entweder waren die Leute hier ungewöhnlich gesund, oder sie weigerten sich sogar, sich von ihm begraben zu lassen ... bei seiner unheimlichen Kirche war das ja auch eigentlich kein Wunder. Also, wenn es schon keine Möglichkeit gab, sich vor dieser Veranstaltung zu drücken – »Sie sind der Ehrengast!« hatte Marie ihm lachend mitgeteilt, wohlwissend ob seiner Abneigung gegen solche Kaffeetrinken –, dann wollte er doch wenigstens seine Pfarrersmiene aufsetzen und die Rolle spielen, die das Publikum von ihm erwartete. Der Bischof wollte schließlich Fortschritte sehen, und die vier Leute bei der Sonntagsmesse waren kein gutes Zeichen.
Die Tür am Ende des Flurs stand offen. »Gehen Sie nur voran, Abbé!« ermunterte sie ihn. Sie wäre mit ihrer Fülle im Gang ohnehin nicht an ihm vorbeigekommen, ohne ihn an der Wand zu zerdrücken. Ihr rundes
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