Seelenbrand (German Edition)
Gesicht glühte, wie immer, wenn sie sich trafen, und ihre Haare waren in einem Knoten straff an den Kopf gezogen. Dadurch wurden ihre gut gepolsterten Pausbäckchen besonders betont. Aber sie war eine herzensgute und stets freundliche Person.
Das Stimmengewirr verstummte augenblicklich, als er den Raum betrat. Da ist sie! Die Kaffeerunde! Genau so, wie er sie aus den anderen Gemeinden in Erinnerung hatte.
»Ich wünsche Ihnen einen guten Tag!« sagte Pierre würdevoll und blickte mutig in die Runde der schätzungsweise zehn Geschworenen, die gerade über ihn zu Gericht saßen.
»Guten Tag, Herr Pfarrer!« kam es dann – für ihn nach einer Ewigkeit – aus den Kehlen seiner Gegenüber im Chor zurück.
»Monsieur Alphonse kennen Sie ja schon von der Messe, Herr Pfarrer«, übernahm jetzt Madame Pauline, die sich hinter ihm in das Zimmer gezwängt hatte, die Leitung. Der Angesprochene, der sich offensichtlich genüßlich mit dem Stück Kuchen auf seinem Teller beschäftigte, sah freundlich herüber und nickte, wobei der Klecks Sahne an seinem riesigen Schnurrbart hin und her wippte.
»Eigentlich wollten wir mit dem Kuchen doch warten, bis alle da sind, oder?« mahnte Madame Pauline die Runde.
»Aber nein, lassen Sie nur, es ist meine Schuld, ich bin zu spät!« Irgendwie war ihm vorhin plötzlich danach, erst einmal seine Schuhe und danach auch noch die Stiefel von der verkrusteten Schlammschicht zu befreien, die die Knochenbrühe auf ihnen hinterlassen hatte. Und das dauerte eben. Außerdem hatte er noch einen Stoß Papiere zu ordnen. Seine Abneigung gegen diesen Nachmittag war einfach grenzenlos. War Marie denn wenigstens da? Er sah sie nirgends.
»Macht nichts, Sportsfreund, Sie haben noch nichts verpaßt«, sagte eine Männerstimme aus der anderen Ecke.
»Das ist Mister Higgins aus London«, fuhr Madame Pauline schnell dazwischen und warf ihrem englischen Gast einen strengen Blick zu. »Er kommt seit Jahren zum Jagen her.«
»Sie brauchen mich gar nicht so strafend anzusehen, meine liebe Pauline«, sagte Higgins freundlich, während er sich erhob und die Pfeife aus dem Mund nahm. »Unser junger Freund hier sieht nicht so aus, als ob er Ihre Hilfe nötig hätte!«
Der Engländer mochte an die Siebzig sein, hatte volles, korrekt frisiertes graues Haar, einen grauen Schnurrbart und trug eine Art dunkelgrünen Hausmantel mit einigen aufgestickten Fasanen oder Rebhühnern.
»Begleiten Sie mich doch mal auf die Jagd, Abbé, hier gibt es mehr als genug Wild.«
Pierre ergriff Higgins’ ausgestreckte Hand. »Sehr freundlich«, er sah dem Engländer lächelnd in die Augen, »aber ich hätte dabei das Gefühl, als würde ich auf meine eigenen Pfarrkinder schießen.«
Sein Gegenüber verschluckte sich an seinem Pfeifenqualm und begann heftig zu husten, während er gleichzeitig seine Augenbrauen hochzog und in ein donnerndes Gelächter ausbrach, das gar nicht zu Pierres Vorstellung von englischer Zurückhaltung paßte. »Ich sehe schon, mein Junge«, er klopfte ihm wohlwollend auf die Schulter, »Sie sind nicht auf den Mund gefallen. Genau wie ich vermutet habe.«
Bevor Higgins die Kaffeerunde durch seine respektlose Art im Umgang mit dem neuen Pfarrer des Ortes noch weiter in Verlegenheit bringen konnte, mischte sich Madame Pauline wieder ein. »Darf ich Ihnen noch Madame Calvé vorstellen?« Sie deutete auf eine auffällig geschminkte, ältere Dame mit Hut, deren knochige Hände über und über mit protzigen Goldringen geschmückt waren. »Eine Freundin aus Paris, sie besucht mich hin und wieder.«
»Guten Tag, Madame!« Formvollendet machte Pierre eine leichte Verbeugung.
»Sie war früher eine berühmte Opernsängerin«, flüsterte Madame Pauline stolz.
»Ach, meine Liebe«, mit verrauchter Stimme machte Madame Calvé eine abwehrende Handbewegung, so daß ihre diversen goldenen Armreifen aneinanderklapperten, »das ist schon sehr lange her. Du übertreibst mal wieder, meine liebe Pauline!« Sie rückte sich ihren mit Federn geschmückten Hut zurecht und genoß den Auftritt.
»Und dort hinten in der Ecke«, mit ihren kleinen dicken Fingern zeigte Madame Pauline auf eine unscheinbare und schwarzgekleidete Gestalt mit einer silbernen Brille im fahlen Gesicht, »da haben wir meinen letzten Pensionsgast, Herrn von Rittenberg aus Österreich.«
Die schmächtige Gestalt mit ihrem großen, kahlen Schädel lächelte scheu herüber und nickte. »Kunst und Antiquitäten«, piepste er wie eine kleine Maus und
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