Seelenbrand (German Edition)
hatte ihn versteckt? Fürchterlich! Schon wieder neue Rätsel! Dieser spukende Abbé war doch nicht mehr richtig im Kopf gewesen. Es gab hier doch keinen Meter, an dem er nicht irgendein Rätselspielchen hinterlassen hatte! Allein die dramatische Grabinschrift aus der Apokalypse ... Ich werde der Erde den Frieden nehmen, damit sich die Menschen gegenseitig abschlachten ... Angewidert schüttelte er den Kopf. Er hatte ja schon mehr Zeit auf dem Friedhof verbracht als jeder andere Mensch, aber derartig geschmacklose Zeilen waren ihm auf noch keinem Grabmal untergekommen.
Marie betrachtete unterdessen fasziniert den neuen Fund. »Wofür ist wohl dieser Schlüssel?« Mit dem Stückchen Stoff poliertesie aufgeregt an ihrem neuen Rätsel herum. Pierre drehte den Kopf, als er den Lappen in ihrer Hand sah.
»Da steht doch etwas geschrieben, auf Ihrem Lumpen!«
»Tatsächlich!« Sie faßte die Ecken des Fetzens und hielt ihn in die Luft.
D UBIUM S APIENTIAE I INITIUM .
Pierre nickte. »Dafür reicht mein Latein gerade noch. Zweifel ist der Weisheit Anfang. Aber was um Himmels willen soll das nun wieder bedeuten?« Er nahm den Schlüssel und den unansehnlichen Lappen an sich und stopfte ihn gereizt in die Tasche seiner Soutane. »Ich finde, Sie sollten schon mal einen Besen holen. Wenn ich mir das hier so ansehe«, der Schutt des zertrümmerten Dämons lag überall verstreut, »dann sollten wir alles auf dem Friedhof in eine der Gruben werfen. Und wenn Sie hier alles brav ausgefegt haben – so wie es sich für eine anständige Haushälterin gehört ...«, er sah Marie belustigt an, die aber keinerlei Anstalten machte, seinem Wunsch nachzukommen und mit verschränkten Armen dastand, »... dann dürfen Sie hinterher auch das Grab aussuchen.«
»Glauben Sie, ich merke nicht, daß Sie sich über mich lustig machen?« antwortete sie schnippisch.
»Wenn Sie sich freundlich daran erinnern wollen«, er sprach betont förmlich, »war es allein Ihre Idee, sich dem Pfarrkomitee als Haushälterin vorzuschlagen, oder?«
Sie hob wortlos ihre Nase in die Höhe und verließ mit ihren verschränkten Armen bockig die Kirche.
»Und bringen Sie noch ein paar Säcke aus dem Schuppen mit!« rief er ihr hinterher. Maries Gemecker war nicht zu überhören.
Das kann ja heiter werden, wenn wir bei jeder Kleinigkeit erst diskutieren müssen. Aber allmählich konnte er sich lebhaft vorstellen, daß es stimmte ... daß sie diesem Trunkenbold tatsächlich ein blaues Auge geschlagen hatte.
Er verharrte einen Moment in der Stille der Kirche und sah sich um. Diesen widerlichen Kerl an der Tür war er wenigstens schon mal los. Er schulterte seine Hacke und schritt langsam an den Bankreihen entlang zum Altar. Der Kreuzweg, der in die Kirchenwände eingelassen war, bot auf den ersten Blick keinenStein des Anstoßes. Und darum ging es ihm ja schließlich ... die Leute sollten sich hier doch wieder wohlfühlen. Es war an der Zeit, aus diesem stinkenden Mausoleum endlich wieder ein Haus Gottes zu machen und alles rauszuwerfen, was den normalen Menschen ängstigte. Denn es war doch einzig und allein die Anwesenheit eben dieser Menschen, die einen solchen Ort der Finsternis wieder mit Leben füllen konnte. Daß in den Wänden die Knochen bis zur Decke gestapelt waren, wie Olivier bei der Renovierung herausgefunden haben wollte, brauchten sie ja nicht zu wissen. Wie ein Scharfrichter mit seiner Axt schritt er langsam mit der stählernen Hacke, die eigentlich zum Ausheben der Gräber im felsigen Boden gedacht war, durch die Bankreihen und suchte mit strengem Blick nach einer weiteren Stelle, an der es der Teufel wagte, ihm seine widerliche Fratze entgegenzustrecken.
Das Böse an diesem Ort war nicht mit frommen Sprüchen in die Knie zu zwingen. Spätestens der Brand des Dachstuhls hatte ihm das klar gemacht. Blitzschlag! Ha! Lächerlich! Er war doch nicht so naiv zu glauben, daß nach seiner Begegnung mit dem Phantom in der Villa und nach der Entdeckung der Truhe mit diesen Listen, der Zufall nichts Besseres zu tun hatte, als die Blitze nur zwei Stunden später zielsicher auf den Dachboden zu lenken. Da steckte doch mehr dahinter. Er war es leid, daß sein Bemühen, ein normales Kirchenleben wiederherzustellen, ständig von irgendwelchen Ereignissen zunichte gemacht wurde. Viel zu lange schon bestimmten andere über sein Leben. Er brauchte sich ja nur daran zu erinnern, wie er zu dieser verfluchten Pfarrei am Ende der Welt gekommen war.
Sein Griff um den
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