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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Maschinenintelligenz formulierte? Sie sprach nicht instinktiv oder unüberlegt; das war unmöglich, es sei denn, man baute die Routine eines Zufallsgenerators in den linguistischen Algorithmus, und das ergab keinen Sinn. Lily hatte einen Hinweis gegeben, und Zacharias musste ihn erst noch verarbeiten, um ihn richtig zu verstehen. Was nur möglich war, wenn er sich nicht mit sinnlosen Spekulationen aufhielt.
    »Ich schätze, da hat Salomo recht. Diese Menschen hier …« Florence deutete in den Saal, und Zacharias beobachtete, wie das Licht der beiden rotierenden Spiegel hinter ihnen über Dutzende oder sogar Hunderte von Gestalten strich, die immer noch damit beschäftigt waren, Spiegel zu zertrümmern und die Gefangenen in ihnen zu befreien. In der Mitte des Saals hatte sich bereits eine wartende Gruppe aus verängstigten, verunsicherten und auch zornigen Leuten gebildet. »Sie existieren ebenso wie wir. Sie sind, in dieser Welt, nicht weniger real als wir. Ich habe eine Weile gebraucht, um das zu begreifen. Sie denken und fühlen wie wir, und sie haben gelitten, während Salomo sie als seine Werkzeuge benutzte, während ihre Seelen ihm gehörten. Der in Lassonde stattfindende Krieg ist real, zumindest nach den hier geltenden Maßstäben. Der Seelenfänger schickt sich an, die Kontrolle über das ganze Weltennetz zu übernehmen und alle Menschen unter seinen Willen zu zwingen. Das müssen wir verhindern, Zach. Und wenn wir nicht verhindern können, dass er in Lassonde siegt, müssen wir wenigstens diese Menschen hier in Sicherheit bringen.«
    Zacharias hörte die Worte, sah die Traveller und Legaten in der Mitte des Saals, wie sie sich aneinanderdrängten und ängstlich umsahen, als befürchteten sie jeden Augenblick die Rückkehr des Seelenfängers, und dachte dabei: Welchen Hinweis hat mir Lily gegeben, und gleich zweimal? Wie lauteten die Worte? Und gibt es einen Zusammenhang mit dem, was sie mir zugeflüstert hat?
    »Du hast recht.« Er hatte es eigentlich nur sagen wollen, um Florence zu beruhigen, und um ein paar Sekunden mehr Zeit zu bekommen, in seinem Innern alles an den richtigen Platz zu rücken und einige scharfe Kanten zu glätten. Aber plötzlich stimmte es, und Zuversicht erfüllte ihn, wie von einer inneren Stimme herbeigerufen. Er lächelte. »Wir schaffen es. Immerhin bin ich der Beste, nicht wahr? Du hast es selbst gesagt, und Lily hat es bestätigt.«
    Florence rollte mit den Augen. »Lily hat dich den begabtesten Traveller nach Salomo genannt.«
    »Ich werde ihr zeigen, dass sie sich irrt«, sagte Zacharias und lief los.

34
    W ohin du auch gehst, wohin du dich auch wendest, ich werde dich finden, Zacharias.
    Es waren leise Worte, und er hörte sie nicht mit den Ohren, sondern mit seinen Gedanken. Dennoch hatten sie genug Wucht, um ihn abrupt innehalten zu lassen.
    »Er ist hier«, sagte er und sah sich um. »Ein Teil von ihm ist hier.«
    Die Worte erinnerten ihn an das, was Lily ihm zugeflüstert hatte, und ihm blieb nichts anderes übrig, als ihr recht zu geben. Es würde nicht leicht sein, für Florence vielleicht noch weniger als für ihn.
    Ich werde dich finden, Zacharias. Überall. Du kannst mir nicht entkommen.
    Vielleicht doch, dachte er.
    Auf dem Weg zur Mitte des Saals begegneten sie ersten Menschen, und Florence sagte so laut, dass alle in der Nähe sie hörten: »Wir sind gekommen, um euch in Sicherheit zu bringen.«
    »In Sicherheit?«, tönte es zurück. »Wo gibt es Sicherheit?«
    Den Spiegeln entkommene Traveller und Legaten drängten herbei, und Zacharias deutete nach vorn. »Zur Mitte des Saals. Zu den anderen. Wir müssen alle zusammen sein.«
    Florence lächelte. »Endlich.«
    »Endlich was?«, fragte Zacharias und ging schneller, zusammen mit den Männern und Frauen, die die Nachricht weitergaben: Sicherheit.
    »Endlich handelst du«, sagte Florence.
    Ja, dachte er, und ich muss etwas tun, das mir nicht gefällt.
    Das Klirren von Glas hatte fast ganz aufgehört, und dafür schwoll ein Stimmengewirr an, je näher sie der Mitte des Saals kamen, wo Hunderte auf sie warteten. Der kräftig gebaute Mann, der Zacharias zuvor am Kragen gepackt hatte, eilte auf sie zu. »Wo ist er? Wo ist der Weg zum sicheren Ort?«
    Dort standen sie, viele von ihnen abgemagert und dürr, als hätten sie seit vielen Tagen nichts mehr gegessen, manche mit nur wenigen Fetzen am Leib, andere in Mäntel gehüllt und mit tauendem Schnee im Haar. Sie schwiegen jetzt, und es herrschte Stille im Saal, aber

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