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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Gesicht nichts verriet. »Ich werde den Zugang versiegeln, damit man ihn nicht von dieser Seite aus öffnen kann.«
    Florences Blick verweilte noch etwas länger auf ihm, wie auf der Suche nach etwas. »Wir können all den Flüchtlingen dabei helfen, sich auf Zuflucht einzurichten, nicht wahr?«
    Zacharias beobachtete, wie die Schlange der Wartenden immer mehr schrumpfte. »Das können wir, ja«, erwiderte er und dachte: Es tut mir leid, Flo, aber du musst es allein tun. Du musst ihnen allein helfen, ohne mich. Und ich hoffe, es wird nicht zu schwer für dich.
    »Zach? Du hast doch was …«
    Die letzten Menschen traten durch den Spiegel, der sie mit einem leisen Knistern aufnahm, und daraufhin war der Saal – Prisma – leer. Stille breitete sich aus, und die Dunkelheit schien näher zu kriechen.
    »Ich bin müde«, sagte Zacharias, und das stimmte.
    Florence ergriff seine Hand. »Komm.« Sie zog ihn zum Spiegel. »Du kommst doch mit, oder?«
    Sie spürte mehr, als ihm lieb war; sie kannte ihn zu gut.
    »Ja«, sagte er und gab nach, ließ sich von ihr ziehen, während seine Gedanken wirbelten wie Herbstlaub in einem Sturm. »Ja, natürlich komme ich mit.«
    Gemeinsam traten sie durch den Spiegel, der auf der anderen Seite wie ein dunkles Fenster aussah, und sofort nahm Zacharias den harzigen Geruch des Waldes wahr. Hunderte von Stimmen erklangen, laut und fremd an diesem Ort. Er blendete sie aus, hörte stattdessen das leise Rauschen des nahen Flusses, das Flüstern des Windes in den Baumwipfeln, das Knacken von totem Holz unter seinen Füßen, als er einen Schritt nach vorn machte. Ein Ping zeigte ihm die Struktur dieser Welt: fest und stabil, nicht verankert in der labilen Persönlichkeit eines Patienten, kein Teil eines flüchtigen Traums, sondern massiv im Space, eine gute Grundlage für vollständige Integration. Und es gab keine Sperrungen. Gute Traveller konnten Teile dieser Welt ihren eigenen Bedürfnissen anpassen, bevor sie sich in sie integrierten, und das geschah bereits: In der Nähe des Flusses entstanden erste Hütten.
    Und später?, dachte Zacharias, während er den Duft des Waldes tief einatmete und ihn mit dem Aroma dieses Ortes verband. Was mochte später mit all diesen Leuten geschehen? Würden sie durch die Integration in diese Welt schließlich das Reisen zwischen den Welten vergessen? Es wäre besser für sie gewesen, denn er musste den Zugang schließen, die Verbindung zwischen Zuflucht und dem Netz der Welten trennen, damit Salomo oder seine Leute nicht den Weg hierher fanden.
    »Sieh nur«, sagte Florence und deutete nach oben.
    Die bisher dichte Wolkendecke riss auf, und zum Vorschein kam nicht nur ein blauer Himmel, sondern auch ein vages Gespinst, wie eine große Spinnwebe am Firmament, bestehend aus Hunderten oder Tausenden von Fäden, die im Licht der Sonne goldgelb leuchteten.
    »Das Weltennetz«, fügte Florence staunend zu. »Man kann es von hier aus sehen.«
    O nein, sie werden die Welten nicht vergessen, dachte Zacharias. Weder sie noch ihre Kinder. Und dann fragte er sich: Wie groß ist der Ereigniswinkel? Wie viel Zeit wird mich von Zuflucht und Florence trennen?
    Sie wandte sich ihm zu. »Jetzt kannst du es mir sagen, Zach. Was hat Lily dir zugeflüstert?«
    Nein, dachte er. Ich kann es dir nicht sagen. Es wäre zu schwer, für dich ebenso wie für mich.
    »Gleich«, log er, und sie fiel ihm schwer, diese Lüge, obwohl sie nur aus einem Wort bestand. »Gleich erkläre ich dir alles. Zuerst muss ich zurück und den Zugang schließen.«
    Er sah ihr in die Augen, prägte sich alles ein, und natürlich bemerkte sie sein Zögern. Wie hätte sie es nicht bemerken können?
    »Zach …«
    »Ich bin gleich wieder da«, behauptete er und begriff: Wenn er noch etwas länger zögerte, wurde die Versuchung zu groß. Dann würde er den eigenen Wünschen nachgeben und zu einem Feigling werden.
    Er trat durch den Übergang, der auf dieser Seite wie ein dunkles Fenster aussah.
    Die stille Finsternis von Prisma empfing ihn.
    Und eine vertraute Stimme. Sie sagte: »Schön, dass du kommst, Zacharias. Wir beide müssen noch etwas in Ordnung bringen.«

35
    K ronenberg.
    Er stand einige Meter vom Spiegel entfernt, halb in der Dunkelheit verborgen. Sein weißes Haar schwebte wie eine kleine Wolke im schwarzen Nichts und leuchtetekurz auf, als das wandernde Licht eines der beiden Wüstensonnen-Spiegel weiter hinten darüber hinwegstrich.
    Er trat vor und hob die rechte Hand, formte sie wie eine

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