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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Zeigefinger krümmte sich erneut um den Auslöser der Waffe, und weitere grelle Lichter verließen den Lauf, jedes von ihnen langsamer als das vorhergehende. Nicht einmal zwei Meter weit kamen sie, bevor sie ebenfalls ihren Glanz verloren und als glimmende Stäubchen fielen.
    Kronenberg starrte auf seine Waffe hinab, ließ sie fallen, sprang die kurze Treppe herunter und stürmte auf Zacharias zu. Er schwang die rechte Faust, und Zacharias wusste, was er mit ihr zerschmettern wollte. Er wusste auch, was geschehen würde. Er sah die Ereignisse wie in einem Film, mit sich selbst als einem der Akteure auf der Leinwand vor seinem inneren Auge. Er ging weiter, mit langsamen Schritten, während Kronenberg wutentbrannt herankam und die Faust nach vorn stieß, auf seine Nase zu. Aber etwa zwanzig Zentimeter vor dem Kopf – in der gleichen Entfernung, in der das erste bittere Licht verblasst war – stieß sie auf ein unsichtbares Hindernis, das nicht einen Millimeter weit nachgab. Knochen brachen, und auch der Zorn in Kronenbergs Gesicht erlitt eine Niederlage, wie zuvor die Verblüf fung, und wich Schmerz. Er öffnete den Mund, doch es ertönte kein Schrei, nur ein leises Wimmern. Mit der unverletzten Hand hielt er die gebrochene und sank, das Gesicht verzerrt und den Mund noch immer weit aufgerissen, auf die Knie.
    Zacharias trat an ihm vorbei zum Podium.
    »Es ist leicht, nicht wahr?«, erklang Salomos Stimme. »Es ist ganz leicht, wenn man weiß, wie es geht.«
    Zacharias blieb noch immer nicht stehen, ging die Treppe hoch und zum Stuhl des Seelenfängers, nahm ihm die Sensorhaube ab und warf sie beiseite. Kabel baumelten aus dem Kopfende des Interface-Sessels, in dem das Orakel ruhte, und von den grauen Säulen dahinter. Die mit dem Sessel verwachsene Frau bewegte erneut die Lippen, und diesmal hörte Zacharias ein leises, erleichtertes Seufzen.
    »Es ist vorbei«, sagte er.
    »Nein.« Salomo drehte langsam den Kopf. »Dies ist nur der Anfang.«
    Zacharias sah ihn mit den inneren Augen: Wie er selbst stellte Salomo ein kleines Licht in oder über dem Grundmuster von Lassonde dar, auch ohne die Sensorhaube durch haarfeine Linien mit den fraktalen Strukturen verbunden, die dieser Welt Form und wahrnehmbare Wirklichkeit gaben.
    »Du steckst im Anfang fest«, sagte Zacharias. »Du hast dir zu viel vorgenommen.«
    »Willst du dich nicht setzen, Zacharias? Es ist so mühsam, zu dir hochzusehen. Davon bekomme ich einen steifen Hals. Setz dich.«
    Eine der Linien leuchtete kurz auf, und hinter Zacharias erschien ein Stuhl. Er nahm darauf Platz und schloss die inneren Augen, um nicht abgelenkt zu sein. »Bist du nicht überrascht, mich zu sehen?«, fragte er. »Hast du mich nicht wie Kronenberg für tot gehalten?«
    »Es hätte mich überrascht, wenn es ihm wirklich gelungen wäre, dich zu töten«, erwiderte Salomo, ein kleiner Mann, aber ein Riese auf Zacharias’ Radar. »Ich habe deine Pings gehört. Oh, du hast sie zu tarnen versucht, aber du beherrschst deine neuen Fähigkeiten noch nicht so gut wie ich meine.«
    »Du hättest Kronenberg auf mich vorbereiten können, aber das hast du nicht getan. Du hast auch keine deiner grauen Soldaten hierhergerufen.« Während er diese Worte sprach, überlegte Zacharias, wie er dies zu Ende bringen sollte. Was musste er tun, um die von Salomo ausgehende Gefahr endgültig zu beseitigen? Ihn töten? Aber wie? Wie brachte man einen Gedanken in einer Welt von Gedanken um? War das überhaupt möglich? Salomo gehörte nicht zum Grundmuster dieser Welt. Er war keins der vielen Pixel, die Zacharias nehmen und an einen anderen Platz setzen konnte.
    »Es hätte nichts genützt«, erwiderte Salomo ruhig. »Jetzt nicht mehr. Du bist viel zu stark für sie. Ich nehme an, Lily steckt dahinter, nicht wahr?«
    Vielleicht, dachte Zacharias und sah kurz zu Kronenberg, der noch immer auf dem Boden kniete, sich die gebrochene Hand hielt und wimmerte. Ein Gedanke, oder vielleicht auch nur das Fragment eines Gedankens, ließ ihn wie den Rest von Lassonde erstarren. Er wurde Teil einer Welt, die reglos auf eine Entscheidung wartete.
    »Das meine ich«, sagte Salomo. »Noch vor kurzer Zeit wäre dir so etwas nicht gelungen. Jetzt ist es offenbar ganz leicht für dich. Lily hat dich darauf gebracht, habe ich recht?« Er lächelte sanft. »Sie ist so etwas wie unsere Mutter.«
    Er will dich ablenken, warnte eine leise Stimme in Zacharias. Unterschätze ihn nicht.
    »Sie hat sich deinem Zugriff entzogen«,

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