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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Sicherheit.
    Stimmen rissen ihn aus seinen Gedanken, und er ver schloss die inneren Augen vor der fraktalen Pracht des Grundmusters von Lassonde.
    »Er ist tot«, sagte jemand. »Ich habe ihn sterben sehen. Doch sein Tod hat den Zugang geschlossen und die Verbindung unterbrochen. Derzeit ist Zuflucht für uns unerreichbar.«
    Kronenberg. Zacharias lächelte, aber es war kein besonders freundliches Lächeln.
    »Das ist sehr bedauerlich«, antwortete jemand. Es war eine freundliche, friedliche Stimme, die Wohlbehagen im Zuhörer weckte, und selbst jetzt reagierte noch etwas in Zacharias darauf, als hätte diese Stimme ihren eigenen Resonanzboden in ihm geschaffen.
    Salomo.
    Es war anders geplant, dachte Zacharias, nur wenige Meter von der Etage entfernt, wo Kronenberg und der Seelen fänger miteinander sprachen. Mein Tod sollte Salomo in Sicherheit wiegen. Lily und ich, wir wollten das Über raschungsmoment nutzen, um ihn zu überwältigen.
    Zacharias zögerte noch einen Moment länger und blinzelte wie geblendet im matten Licht, das durch den violetten Kristall der Wand neben ihm filterte. War auch das ein Trick gewesen, ein Schachzug auf einem Spielbrett, kaum weniger komplex als das Grundmuster, das darauf wartete, von seinen inneren Augen betrachtet zu werden? Hatte ihm der Schock des Todes helfen sollen, die richtige Tür in seinem Kopf zu öffnen?
    Was auch immer ihn hierhergebracht hatte: Jetzt stand er auf dieser Treppe, nur wenige Meter von Salomo entfernt, und nur wenige Sekunden vor der letzten Konfrontation. Gab es einen besseren Ort als ein Wahrheitszentrum, um die Wahrheit herauszufinden?
    Zacharias trat die Treppe hoch und erreichte den großen Raum, den Florence ihm beschrieben hatte. Die grauen Säulen, die ihm auch bei den Treppen und Rampen aufgefallen waren, bildeten hier drei Kreise: den ersten als stüt zende Pfeiler entlang der Wände, den zweiten bei etwa einem Drittel des Weges zum Podium und den dritten in seiner unmittelbaren Nähe. Mehrere Stufen führten zu dem Podium hoch, und dort lag eine Gestalt in einem Interface-Sessel, der sie ernährte und mit dem sie untrennbar verbunden war. Das Orakel. Florence hatte auch ihren Namen genannt: Chana.
    Neben dem Podium saß Salomo auf einem Stuhl, mit dem Rücken zum Eingang des großen Raums und auf dem Kopf eine Sensorhaube, die ihn mit den Interface-Systemen des Orakels verband. Die liegende Frau, für immer Teil dieser lassondischen »Denkmaschine«, bewegte die Lippen, und Salomo schien sie zu verstehen, obwohl alles still blieb, denn er nickte ihr zu. Kronenberg stand neben dem Stuhl des Seelenfängers, kehrte Zacharias ebenfalls den Rücken zu und hielt sich die blutende Nase. Eine Spur aus roten Flecken auf dem Boden führte durch den Raum zum Podium.
    »Es dauert zu lange«, sagte Salomo. Der große Kopf schwankte von einer Seite zur anderen, wie zu schwer für den dünnen Hals. »Ich brauche die Traveller und Legaten von Prisma. Ich brauche meine Freunde.«
    »Es waren nie Freunde«, sagte Zacharias und ging los, vorbei an den roten Flecken, an dem Blut, das Kronenberg auf dem Boden zurückgelassen hatte. »Es werden auch nie Freunde sein. Jetzt sind sie in Sicherheit vor dir. Du musst ohne sie zurechtkommen.«
    Salomo blieb ruhig sitzen, leicht nach vorn gebeugt, dem Kopf des Orakels entgegen. Aber Kronenberg wirbelte herum, und Zorn brauchte nur eine Sekunde, um die Verblüffung aus seinem Gesicht zu vertreiben.
    »Du!«, zischte er, erreichte mit zwei schnellen Schritten den Rand des Podiums und hob die Hand. Diesmal begnügte er sich nicht damit, Zeigefinger und Daumen als Waffe zu verwenden. Während die Hand auf dem Weg nach oben war, erschien ein Gegenstand in ihr, glatt und silbrig wie ein Fisch, an den Seiten kleine tanzende Lichter. Ein größeres Licht leuchtete in der Mündung des kurzen Laufs auf und sprang durch den Raum, begleitet von einem Geräusch wie das leise, warnende Zischen einer Schlange.
    In Zacharias’ Synästhesie hatte es einen bitteren Ge schmack, dieses Licht, und einen scharfen Geruch, den er nicht mochte. Er beobachtete, wie es sich ihm näherte, schnell erst, so schnell, wie man es von einem Blitz erwartete, aber dann wurde es immer langsamer. Etwa zwanzig Zentimeter vor seiner Brust hielt es wie unschlüssig gewor den inne, das bitter schmeckende und scharf riechen de Licht, und verblasste, bis nur noch ein Funken übrig blieb, ein glitzerndes Staubkorn, das zu Boden sank und verblasste.
    Kronenbergs

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