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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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etwas reflektiert worden.
    »Es gibt nur einen Mann mit diesem Namen in der Entwicklungsabteilung von Samsung-Nippon«, sagte Florence, als sie sich dem wiederaufgebauten Hauptturm der Burg Edo näherten. »Vierundfünfzig Jahre alt, geboren in Nagaoka, Studium der deterministischen Informatik und Stochastik, mit Spezialisierung auf Datennetze.«
    »Determinismus und Stochastik?«, fragte Zacharias. »Wie lässt sich das in Datennetzen vereinen?« Er ging langsamer, von Unbehagen erfasst. Was er eben gefühlt hatte, war kein Echo der konzentrischen Wellen, die Florence und er beim Eintauchen in den »See« eines fremden Bewusstseins ver ursacht hatten, sondern ein schwaches, vorsichtiges, gut getarntes Ping.
    »Ich weiß nicht«, sagte Florence. »Haruko hat Administrator-Privilegien im Computerzentrum der Entwicklungsabteilung von SN und …«
    »Ein anderer Traveller ist hier. Jemand, den ich nicht kenne.«
    »Was?«
    »Er hat uns gerade gepingt, noch dazu auf eine sehr geschickte Weise«, sagte Zacharias. »Ein Traveller, den ich nicht kenne, der nicht zur Foundation gehört.«
    Er hob den Kopf. Dieser Körper war groß und ermöglichte es ihm, über die meisten japanischen Männer und Frauen hinwegzublicken. Auf der anderen Seite der Straße, die sich vor dem Hügel mit dem Edo-Hauptturm teilte, stand jemand, der im Strom der Fußgänger wie ein Fels in der Brandung wirkte, ein Mann, ebenso groß wie Zacharias, das kurze Haar weißblond, die Augen von einem fast unnatürlichen Blau. Ihre Blicke trafen sich, und beide Männer verstanden, erkannten sich als Fremde in dieser Welt.
    Zacharias lief los und stürmte über die Straße, ohne auf den Verkehr zu achten.

5
    I m Zickzack rannte Zacharias über die Fahrbahnen und wich Elektrowagen aus, die keine Anstalten machten, ihm auszuweichen, weil ihre Fahrer – oder ihre Autopiloten – ihn nicht sahen. Dort stand er, auf der anderen Straßenseite, ein Mann ebenso groß wie er, das Gesicht hell vor dunklem Hintergrund, das weißblonde Haar wie ein Strah lenkranz. Zacharias sprang in eine Lücke zwischen zwei summenden Fahrzeugen, den Blick noch immer auf den Frem den gerichtet, von dem das Ping gekommen war und der ein Traveller wie er selbst sein musste. Die eisblauen Augen des Mannes, der sich noch immer nicht von der Stelle rührte, verwandelten sich in Spiegel und zeigten ihm Florence, die hinter ihm an den Rand des Bürgersteigs getreten war.
    »Bleib dort!«, rief Zacharias ihr zu. »Lauf nicht auf die Straße.«
    Das war ein Problem, dachte er, während er selbst lief. Nicht nur für Florence und die anderen Therapeuten und Kognitoren, sondern auch für manche Traveller. Der Glaube machte den Unterschied, beziehungsweise der Zweifel. Verletzungen spielten keine Rolle, solange man davon überzeugt blieb, dass sie keine Rolle spielten. Aber wehe, man begann daran zu zweifeln. Wer den Glauben an die eigene Unverletzlichkeit verlor, wer zu glauben begann, dass Schmerzen real sein konnten, dass Knochen wirklich brachen und echtes Blut floss, der riskierte seine geistige Integrität und ein Ende wie Penelope. Wenn Florence versuchte, ihm über die Straße zu folgen, wenn sie von einem der Fahrzeuge erfasst und überfahren wurde, und wenn sie dann auch noch glaubte, tatsächlich überfahren worden zu sein …
    Zacharias warf einen Blick über die Schulter und stellte er leichtert fest, dass Florence noch immer auf dem Bürgersteig stand. Bleib dort, dachte er. Bleib dort stehen und warte.
    Er sprang erneut, auf die niedrige Ladefläche eines Transporters, fühlte die herrliche Kraft in seinen Muskeln, stieß sich ab und landete auf dem Dach eines Wagens, der in die andere Richtung fuhr. Dort wartete er zwei oder drei Sekun den, während der Fahrtwind an ihm zerrte und das Summen der Fahrzeuge um ihn herum wie zornig anschwoll. Der Mann stand noch immer dort, zwischen den Fußgängern, die ihm auswichen, ohne ihn zu sehen, und die Lippen in seinem Gesicht formten ein abschätziges Lächeln, so kalt wie die Augen aus blauem Eis.
    Dann drehte er sich um und ging los, dorthin, wo sich die Straße vor dem Hauptturm der alten Festung teilte. Nach wenigen Momenten war nur noch sein helles Haar in der Passantenmenge zu sehen.
    Ein weiterer Sprung brachte Zacharias vom Dach des Wagens herunter, doch bei der Landung am Rand der letzten Fahrbahn unterschätzte er sein Bewegungsmoment, verlor das Gleichgewicht und fiel, direkt vor einen heransummen den Elektrowagen.
    Sofort

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