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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Verwunderung lag und dann Ärger, der sich allmählich in Zorn verwandelte. Haruko weiß nichts von uns, dachte Zacharias, und wahrscheinlich hat er auch nichts von Teneker gewusst, wenn er Sea City bewusstlos erreichte. Wehrte sich sein Bewusstsein gegen die Eindringlinge?
    Er eilte mit Florence am Rand der Straße entlang, auf dem schmalen Streifen Niemandsland zwischen Fahrbahn und Bürgersteig. Sie schienen eine Bugwelle des Erkennens vor sich herzuschieben, denn auch vor ihnen blieben Fußgänger stehen und sahen sich nach ihnen um. Noch blieb es still, aber Zacharias ahnte bereits die Existenz von zornigen Rufen, die sich Luft verschaffen wollten.
    »Eine Abwehrreaktion«, sagte Florence. »Aus den biometrischen Daten geht hervor, dass die Hirnaktivität des Patienten weiter zunimmt.«
    »Aversion«, wiederholte Zacharias und ging schneller, noch immer auf der Suche nach weißblondem Haar und blauen Augen. »Aber gelenkt. Jemand hat Haruko übernommen.«
    Florence warf ihm einen Blick zu. »Ein ganzes Bewusstsein?«
    »Ja«, sagte Zacharias. Ein kleiner Mann versuchte, ihn festzuhalten, aber er entwand sich mühelos seinem Griff. »Und ein einzelner Traveller ist dazu nicht in der Lage. Es muss eine Gruppe sein, bestehend aus bestens aufeinander abgestimmten Spezialisten.«
    »Soweit ich weiß, gibt es in der Geschichte der Foundation keinen einzigen Fall von vollständiger Bewusstseinskont rolle«, sagte Florence nachdenklich und wich einer Frau aus, die mit einer Handtasche nach ihr schlug. Ein erster Schrei erklang, weit hinter ihnen, wie in die Länge gezogen. Weiter vorn veränderte sich das Summen der rundlichen Elektrowagen auf den sechs Fahrspuren der Straße. Zacharias verglich es mit einer monotonen Melodie, in der es plötzlich eine Dissonanz gab.
    Seine Gedanken eilten weiter. »Das könnte die Erklärung dafür sein, warum Teneker gefangen ist. Er findet keinen Ausgang, weil die fremden Traveller alle Übergänge geschlos sen haben, auch die seiner Rückversicherungen.«
    War das die Falle, vor der sie der Mann im Bibliothekssaal gewarnt hatte? Hatte der Traveller, nach dem sie jetzt suchten, einen – wenn auch sehr kurzen – Kontakt mit ihnen hergestellt, um ihre Integration zu erzwingen?
    Florence hatte die Gefahr ebenfalls erkannt. »Es darf keine vollständige Integration erfolgen, Zach«, sagte sie. »Bring uns zurück, bevor wir ganz Teil dieser Welt werden. Hörst du das RV-Signal?«
    Er hörte es nicht, sondern fühlte es, als synästhetisches Prickeln unter dem linken Ohr, übertragen von den Interface-Systemen des Rollstuhls. »Ich höre es.«
    »Lily meldet, dass der Ereigniswinkel wächst«, warnte Flo rence. »Es könnte bedeutet, dass die Fremden nicht nur un sere Integration erzwingen, sondern uns von der Foundation trennen wollen.«
    Weitere Schreie erklangen und übertönten das Summen der Elektrowagen, auch die lauter werdende Dissonanz darin. Und sie wurden ihrerseits von einem Knirschen übertönt, das von oben kam. Erste Tropfen fielen, noch bevor Zacharias den Kopf hob und die schnell länger werdenden Risse in der Kuppel über der Stadt sah.
    »Der Himmel bricht«, sagte er.
    Neben ihm erschien plötzlich wieder die Alte mit dem Regenschirm, ihr Gesicht wie zerknautscht. Sie wollte mit dem Schirm nach ihm schlagen, zögerte aber, als ihr mehrere dicke Tropfen auf den grauen Kopf klatschten. »Es regnet«, sagte sie und spannte den Schirm auf. »Es regnet.«
    Ein Ablenkungsmanöver, dachte Zacharias und fühlte die Notwendigkeit einer Entscheidung nahen. Die fremden Traveller wollen uns beschäftigt halten, damit wir uns nicht gegen die Integration in diese Welt wehren. Damit die Falle ganz zuschnappen kann. Und bevor sie ganz zuschnappt, müssen wir zurück.
    Sonst würde es ihnen wie Teneker ergehen; sonst saßen sie fest.
    »Was auch immer geschieht, Flo …«
    »Es geschieht nicht wirklich, ich weiß.«
    »Schließ die Augen, wenn es zu schlimm wird.«
    Aus dem Knirschen über ihnen wurde ein lautes Knacken, und Wasser zischte und fauchte durch erste große Löcher. Ein Sturzregen ging nieder. Zacharias und Florence waren innerhalb weniger Sekunden klatschnass, ebenso wie die meisten Fußgänger auf ihrer Seite der Straße. Nur die Alte blieb weitgehend trocken und machte ein zufriedenes Gesicht unter ihrem großen Regenschirm.
    Plötzlich erschien eine Faust vor Zacharias’ Gesicht, und obwohl er sofort reagierte und sich zur Seite beugte, konnte er dem Schlag nicht

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