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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Schreibtisch festhalten musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Mehrere alte Bücher, in Leder gebunden, rutschten aus den oberen Regalen und gingen in Flammen auf, während sie fielen. Funken sprühten, als sie auf den Boden prallten, und jeder einzelne von ihnen schien bestrebt zu sein, zu einem Keim für neues Feuer zu werden. Nach wenigen Momenten brannte der ganze Bibliothekssaal.
    Zacharias nahm Florences Hand und eilte mit ihr zum Patientenzimmer, dessen Tür auf der anderen Seite offen stand. Dicht dahinter spürte er die Präsenz einer zweiten Tür, eines Übergangs, und er begriff, dass eine Entscheidung getroffen werden musste.
    Florence kannte ihn gut genug, um es zu spüren. »Was hast du vor, Zach?«
    »Es gibt nur zwei Möglichkeiten«, sagte er und wich mehreren dicken Büchern aus, die wie Brandbomben aus einem lichterloh brennenden hohen Schrank fielen. »Entweder zurück, oder wir gehen ganz rein.« Nur noch wenige Meter trennten sie von der Tür. »Teneker ist ein guter Freund von mir. Ich lasse ihn nicht im Stich.«
    »In Ordnung«, sagte Florence nur. Sie vertraute ihm und seiner Kraft, obwohl sie ihn oft ermahnte.
    »Wenn es wirklich eine Falle ist …«, fügte Zacharias hinzu. »Wir könnten Verstärkung anfordern.«
    »Es müssten geeignete Traveller geholt werden. Und es wäre eine Resynchronisierung notwendig. Wir verlören mindestens eine halbe Stunde objektive Zeit, vielleicht noch mehr.«
    »Und dem echten Teneker geht es schlecht genug.« Zacharias sah zum brennenden Teneker zurück, der langsam zur Seite kippte und auf den Boden fiel. Flammen krochen wie kleine feurige Wesen von ihm zum Schreibtisch, kletterten an den hölzernen Beinen hoch und erreichten ein Stück Papier, das wie durch ein kleines Wunder unversehrt geblieben war. Mit dem inneren Auge erkannte Zacharias die beiden Worte, die darauf geschrieben standen, bevor auch dieser letzte Papierfetzen verbrannte: »Warnung« und »Köder«.
    Und wenn schon, dachte er. Ich bin stark genug. Hier geht es darum, einen Freund zu retten.
    »Also gehen wir rein.« Florence stand bereits auf der anderen Seite der Tür zum Bibliothekssaal, im Zimmer mit dem Patienten. Sie lächelte, und Zacharias mochte dieses Lächeln. Es war ein wenig kühn und draufgängerisch.
    Er trat zu ihr, weg von der Hitze des brennenden Saals, die auf der anderen Seite der offenen Tür gefangen blieb, nahm Florences Gesicht zwischen die Hände und drückte ihr einen Kuss auf die Lippen.
    »Wofür ist das?«, fragte sie, hob die Hand zum Interface-Äquivalent und machte sich bereit.
    »Dafür, dass du zu mir hältst, Flo. Dafür, dass du nicht alle Regeln beachtest. Wir beide sind das beste Team der Foundation. Und wir sind noch mehr, wir sind ein Paar. Wir werden mit allem fertig. Wär doch gelacht!«
    Die zierliche Florence mit dem lockigen schwarzen Haar, den großen dunklen Augen und den vollen, geschwungenen Lippen, die er gerade geküsst hatte, hob den Zeigefinger. »Mach nicht den Fehler, wieder zu übermütig zu werden.«
    Er ergriff ihre freie Hand und zwang die zweite Tür mit seinem Willen, sich zu zeigen. Ihre Konturen erschienen direkt vor ihnen, mit einem silbernen Glitzern dahinter, auf der anderen Seite des Übergangs.
    »Wie gefährlich kann ein Köder sein, von dessen Existenz man weiß?«, fragte Zacharias. »Wir müssen nur vermeiden, ihn zu schlucken.«
    Er zog Florence durch die Tür des Übergangs.

4
    Z acharias und Florence traten aus der Wand eines Ge bäudes, ohne dass ihnen auch nur einer der vielen Fußgänger auf dem breiten Bürgersteig Beachtung schenkte.Dahinter erstreckte sich das in mehrere Fahrbahnen unterteilte dunkle Asphaltband einer Straße, auf der dichter Verkehr herrschte. Trotzdem war nur ein dumpfes Summen zu hören, halb übertönt von den Stimmen der vielen Leute auf dem Bürgersteig, denn die Fahrzeuge wurden offenbar nicht von Verbrennungsmotoren angetrieben, sondern von leise surrenden Elektromotoren. Tropfen- und kugelförmige Gebilde bewegten sich auf dünnen Reifen mit geringem Rollwiderstand, die Passagiere in ihnen vage Schatten hinter getönten Scheiben, die das Licht der LED-Tafeln und Projektionen an den Hauswänden und Fassaden widerspiegelten. Junge, lächelnde Menschen mit asiatischen Ge sichtszügen warben dort für die neuesten Produkte, von Mitteln für die Körperpflege über Gadgets für virtuelle und erweiterte Realitäten bis hin zu Produkten für physisches und psychisches

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