Seelenfänger
die Ratschläge ein, die ihm Florence und die anderen Therapeuten gegeben hatten. »Bitte entschuldigen Sie«, sagte er, obwohl er sich eigentlich gar nicht entschuldigen wollte. »Ich möchte nicht unfreundlich erscheinen, aber es wartet Arbeit auf mich.«
Thorpe sah sich erneut um. »Es gibt hier nicht einmal ein Fenster. Interessiert Sie die Welt dort draußen gar nicht?«
Matthias wusste nicht, was er darauf antworten sollte, und deshalb schwieg er.
»Wie viele Sysadmins gibt es in Sea City?«
»Vier.«
»Und Sie sind einer davon.«
»Ja.«
»Ist das nicht eine große Ehre?«
Damit wusste Matthias nichts anzufangen. Er hob und senkte die Schultern.
»Und Sie sind der einzige Sysadmin der Foundation?«
»Ja.«
»Nur Sie können wesentliche Änderungen am Betriebssystem und an den Programmen der Cray vornehmen?«
Warum wendet sich dieser Mann mit solchen Fragen an mich, dachte Matthias. Er brauchte nur die Organisationsdokumente der Foundation zu lesen; sie enthielten alle Informationen.
»Sie tragen große Verantwortung«, sagte Thorpe. »Sea City ist eine der letzten Hoffnungen der Menschheit, und vielleicht gilt das auch für die Foundation.«
Die Worte erschienen Matthias seltsam. »Ich erledige meine Arbeit.«
»Nur Sie kennen das Passwort für den Root-Zugang?«
»Ja.«
»Und wenn Sie es vergessen?«
»Ich vergesse nie etwas«, sagte Matthias. Auch das stand in den Dokumenten: dass er ein fast eidetisches Gedächtnis hatte.
»Und wenn Sie … sterben?«
Matthias sah die Grenze des Absurden nahe. »Warum sollte ich sterben? Ich bin erst vierzig Jahre alt und gesund.«
»Nun«, sagte Thorpe und zeigte wieder sein Lächeln, »wenn es zu einem Unfall käme …«
Matthias seufzte. »Lily würde meinem Nachfolger Fragen stellen, um herauszufinden, ob er ihr Vertrauen verdient.«
Thorpes Lächeln erstarrte erst, verblasste dann und verschwand schließlich ganz. Es war ein interessanter Vorgang, und Matthias beobachtete ihn fasziniert, verglich ihn mit einem Sonnenuntergang, den er einmal im Zeitraffer gesehen hatte.
»Lily würde das Passwort für den Root-Zugang nur einer Person nennen, von der sie glaubt, dass sie ihr Vertrauen ver dient?«, fragte Thorpe, als wollte er sich vergewissern, alles richtig verstanden zu haben.
»Natürlich«, sagte Matthias. Ein akustisches Signal er tönte, so leise und subtil, dass es sich fast im Summen des Hauptterminals und der Klimaanlage verlor. Der private Monitor blieb dunkel, während die anderen, größeren Bild schirme die neuen Klimamodelle zeigten, an denen Lily arbeitete – Holland und große Teile Norddeutschlands waren von der Karte Europas verschwunden –, aber Matthias wusste: Es warteten Antworten auf ihn.
»Ist das nicht … riskant?«, fragte Thorpe. »Ich meine, wenn Ihnen etwas zustößt, muss es doch jemanden geben, der den Computer … kontrollieren kann.«
»Kontrollieren?«
»Der imstande ist, mit ihm umzugehen«, korrigierte sich Thorpe. »Der ihn programmieren kann.«
»Es wird sich jemand finden.«
»Nun …« Thorpe sah sich erneut um, und diesmal wirkte er dabei fast ein wenig hilflos. Aber Matthias war vorsichtig mit seinen Bewertungen, denn er wusste um die eigenen Unzulänglichkeiten bei der Einschätzung von Mimik und Körpersprache. »Sie haben gefragt, warum ich zu Ihnen gekommen bin …«
»Ja.«
Der lächelnde Mann holte ein Programmmodul hervor, einen kleinen Baustein, wie man sie für Fastports verwendete, Kapazität zwei TByte, schätzte Matthias. »Dafür gibt es zwei Gründe. Der erste ist das hier. Eine neue Firewall für Lily.«
»Eine Firewall?« Argwohn erwachte in Matthias. »Lily ist gut gesichert.«
»Das Philanthropische Institut hat dies angeordnet.« Er deutete auf das Modul. »Der Autorisierungscode ist im Log der Installationsdatei enthalten.«
Thorpe stand auf, ging zum Hauptterminal und machte Anstalten, das Modul an den Fastport zu stecken. Matthias war mit einem Satz bei ihm. »Für die Installation von Dateien bin ich zuständig.«
Thorpe klopfte ihm auf den Arm. »Diesmal nicht, mein lieber Matthias, diesmal nicht. Ich muss auf der unverzüglichen Installation der neuen Firewall bestehen.« Er zog ein Dokument aus der Innentasche seiner Jacke. »Hier ist die schriftliche Anweisung. Den Autorisierungscode können Sie gleich überprüfen.«
Matthias starrte auf den Brief, der vom Verwaltungsrat des Philanthropischen Instituts stammte, von einem gewissen Moses Vandenbrecht
Weitere Kostenlose Bücher