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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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herauszufinden, warum du dich seltsam und anders fühlst, Lily. Nehmen wir uns den neuen Code vor, der dich vor einigen Minuten über den Fastport des Hauptterminals erreicht hat.«
    Es öffneten sich weitere Bildschirmfenster, und Matthias, Sysadmin von Sea City und der Foundation, begann damit, die von Thorpe installierten Programme und ihre Wechselwirkungen mit dem KI-Code zu untersuchen.

Der Seelenfänger
    6
    H ochhäuser gerieten ins Wanken, Dächer barsten, und ganze Gebäude platzten unter der Wucht des herab stürzenden Meerwassers. Ein wuchtiges Donnern hallte durch die Stadt, die Stimme der Vernichtung, und Zacharias beobachtete, wie der wiedererrichtete Hauptturm der alten Festung Edo einfach weggespült wurde, zusammen mit Dutzenden von Elektrowagen und Hunderten von hilflosen Männern, Frauen und Kindern. Ein weiteres Bild zeigte sich ihm im Augenwinkel: Auf dem Bürgersteig stand noch immer die zufrieden lächelnde alte Frau, geschützt vom Regenschirm, der die schäumenden, tosenden Fluten tatsächlich von ihr fernhielt, während das wütende Wasser die anderen Leute um sie herum von den Beinen riss.
    Der junge Bursche am Steuer pfiff unbekümmert vor sich hin, fuhr los und steuerte den Wagen durchs Chaos. Eine mächtige Welle hielt direkt auf sie zu, hob die Elektrofahrzeuge wie Spielzeuge und schleuderte sie ihnen entgegen.
    »Die Augen zu, Flo«, sagte Zacharias und schlang den Arm um ihre Schultern.
    Sie schloss die Augen.
    »Wir sind sicher«, sagte er und drückte sie an sich. »Es besteht keine Gefahr für uns.«
    »Es besteht keine Gefahr«, wiederholte Florence, als die Welle den schwarzen Wagen traf und seine Windschutzscheibe mit einem kugelförmigen Elektrofahrzeug zertrümmerte, in dem zwei alte Japaner saßen, ihre Gesichter unbewegt und völlig gleichgültig, als ginge sie das Geschehen überhaupt nichts an.
    Glassplitter flogen wie Schrapnell umher, und Wasser füll te den Wagen innerhalb eines Sekundenbruchteils. Zacharias ließ sich davon nicht beeindrucken, hielt Florence fest und zog sich mit seinen Gedanken an einen inneren Ort der Ruhe zurück, wo ihm niemand und nichts etwas anhaben konnte.
    »Wir können atmen«, sagte er. Luftblasen lösten sich von seinem Mund, stiegen auf und perlten unter dem Wagenhimmel. »Wir atmen, sehen und hören.«
    Der junge Fahrer mit dem zotteligen Haar, das sich im Wasser ausbreitete wie ein Schleier, pfiff noch immer, wäh rend er den schwarzen Wagen an den Trümmern eines geborstenen Gebäudekomplexes vorbeisteuerte. Dutzende von Leichen trieben im Wasser, mit großen Augen und weit geöffnetem Mund.
    Wir atmen, sehen und hören, dachte Zacharias an seinem sicheren inneren Ort. Wir können versuchen zu verstehen.
    Vorsichtig schickte er ein leises, sondierendes Ping in die Umgebung, und das schwache Echo, das er kurz darauf bekam, bestätigte seine Vermutungen. Der Fahrer war Teil dieser Seelenwelt, Teil von Harukos innerem Kosmos, aber Teneker schien es gelungen zu sein, diesen kleinen Teil des fremden mentalen Universums in eine »Fraktur« zu bringen, wie Traveller es nannten, in eine Bruchzone, die es ihm erlaubte, bestimmenden Einfluss darauf zu nehmen. Solche Frakturen erleichterten manchmal die Heilung von Patienten und erlaubten es Travellern, einen gewissen Abstand zu wahren. Teneker hatte diese Möglichkeit offenbar genutzt, um sich irgendwo zu verstecken und einen Gesandten zu schicken, als ihm die Aktivitäten der fremden Traveller verrieten, dass jemand gekommen war, um ihm zu helfen, trotz der Warnung.
    Rasch fasste er seine Überlegungen für Florence zusammen. »Lass die Augen geschlossen, wenn es dich zu sehr verwirrt«, fügte er hinzu, als sie den Atem anhielt, weil ihr die Sinne mitteilten, dass sie in einem Wagen voller Wasser saß.
    »Es geht schon«, erwiderte sie und beobachtete ihre eigenen Luftblasen.
    »Ich schätze, Folgendes ist passiert«, sagte Zacharias und ließ seinen Spekulationen freien Lauf, während der schwarze Wagen mit brummendem Motor über eine Straße fuhr, die Dutzende von Metern tief unter Wasser stand, das vol ler Leichen und Trümmer war. »Dieser Haruko wird entführt, und fremde Traveller scheinen dabei eine Rolle gespielt zu haben. Ich nehme an, sie sind in sein Bewusstsein eingedrungen, um ihm seine Geheimnisse zu entreißen – jemand scheint großes Interesse an den Arbeiten der Entwicklungsabteilung von Samsung-Nippon zu haben. Offenbar geht etwas schief, Haruko fällt in eine Art Koma und

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