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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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das Lächeln verschwinden und gab sich angemessen ernst, was ihm nicht schwerfiel. Immerhin war es eine ernste Angelegenheit.
    Rasmussen zögerte. »Na schön«, sagte er schließlich.
    »Unsere Gegner sind Maschinen, Jonas«, sagte Thorpe langsam. »Intelligente Maschinen.«
    Diesmal ließ sich der Foundation-Direktor nicht aus der Reserve locken; er wartete.
    »Vor sieben Jahren sind Spezialisten der EACK, der Europäischen Agentur für Cyberkonflikte, auf mehrere sogenannte Emergenzen gestoßen. Sind Sie mit dem Begriff vertraut, Jonas?«
    Rasmussen ließ sich einige Sekunden Zeit mit der Antwort. »Ich nehme an, dass es sich um einen IT-Begriff han delt, wenn ein Zusammenhang mit Cyberkonflikten besteht. Normalerweise beschreibt man mit dem Begriff Emergenz die spontane Herausbildung von neuen Eigenschaften oder Strukturen auf der Makroebene eines Systems, meistens infolge von Interaktionen zwischen den einzelnen Systembestandteilen.«
    »Wir können bei dieser Definition bleiben. Praktisch alle Computer dieser Welt sind miteinander vernetzt. Es gibt zahllose kleine, lokale Netzwerke, die ihrerseits Teil von regionalen und überregionalen Netzen sind, die zusammen das bilden, was wir Internet nennen, und auch das Deepnet. Stellen Sie sich dieses globale Netz wie ein wachsendes Gehirn vor, in dem die Interaktionen zwischen den Nervenzellen – den einzelnen, immer leistungsfähiger werdenden Computern – ständig an Komplexität gewinnen. Daraus muss sich geradezu zwangsläufig eine ganz be stimmte Konsequenz ergeben.«
    »Das Internet wird intelligent?«
    Thorpe lächelte wieder. »Das ist sehr vereinfacht und sehr verallgemeinernd ausgedrückt.«
    »Oh, ich verstehe«, sagte Rasmussen plötzlich. »Das mein te Moses Vandenbrecht, als er von ›distributed conscience‹ sprach.«
    »Sie haben gut zugehört«, sagte Thorpe und deutete kurz auf den Rekorder. »In den letzten Jahrzehnten hat der Mensch ein globales elektronisches Gehirn geschaffen, und als es eine kritische Komplexitätsschwelle erreichte, begann die Entwicklung eines Eigenbewusstseins. Die EACK-Leute sprachen von ›Emergenzen‹, und bei diesem Begriff ist es geblieben. Die ersten vier, die man vor sieben Jahren entdeckte, ließen sich auf die Netzstrukturen von Amazon, Google, die chinesische Kang-Sheng-Gruppe und ihren mili tärisch-industriellen Cyberapparat sowie eine südamerikanische Server-Gruppe zurückführen, hinter der die mexikanisch-kolumbianisch-brasilianischen Kartelle steckten. Die internationalen Cyberagenturen arbeiteten zusammen und leiteten Containment-Maßnahmen ein, die auch funk tionierten.«
    »Ich glaube, ich höre da ein Aber«, sagte Rasmussen.
    »Sie haben gute Ohren, Jonas. Die vier Emergenzen entwickelten sich innerhalb von wenigen Monaten zu MIs, zu Maschinenintelligenzen, und leider war ihre Isolierung nicht so lückenlos, wie die Spezialisten von der EACK und den anderen Agenturen dachten. Schon bevor es zum Jailbreak kam, gelang es den MIs, Seeder aus der Isolation zu tunneln. Interessanterweise benutzten sie dabei eine weiterentwickelte Version der chinesischen Tunnler, und deshalb vermutete man zunächst, chinesische Gruppen, vielleicht die Autarke Mandschurei, seien an den isolierten Maschinenintelligenzen interessiert.«
    Dünne Falten bildeten sich in Rasmussens Stirn. »Die Blackouts vor sechseinhalb Jahren …«
    Thorpe nickte. »Sie waren der Versuch, das Phänomen einzudämmen. Die betroffenen Server wurden ganz abgeschaltet, als man den Jailbreak bemerkte, weil man damals noch glaubte und hoffte, die Emergenzen und ihre Entwicklungen ließen sich auf einzelne Hauptknoten im Internet zurückführen. Inzwischen wissen wir, dass sie das Ergebnis verteilter Netze sind.«
    »Vandenbrecht hat ›drei neue Fälle‹ erwähnt«, sagte Rasmussen.
    »Die letzten, von denen wir wissen«, sagte Thorpe. »Offenbar sind es Emergenzen der ersten Generation, deren Entstehung auf schlecht programmierte oder fehlerhaft installierte Signalschranken zurückgeht. Die der zweiten Generation sind schlauer, verraten sich nur selten und schließen sich schon nach kurzer Zeit dem DC an, dem Distributed Conscience.«
    »Seeder?«, wiederholte Rasmussen. »Signalschranken?«
    »Seeder können Sie sich am besten wie Computerviren vorstellen, die sich im gesamten Netz verteilen, geeignete Programme und Betriebssystem-Ökosphären infizieren und Verbindungen zu den Emergenzen und MIs herstellen, von denen sie stammen. Diese

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