Seelenfänger
Verknüpfungen sind wie die Synapsen eines wachsenden Gehirns. Bei Signalsperren handelt es sich um …« Thorpe suchte nach geeigneten Ausdrücken. »… besondere Programme, die verhindern sollen, dass Seeder solche Verknüpfungen herstellen. Sie beugen der Entwicklung eines Bewusstseins vor.«
»Bewusstseinsschranken«, murmelte Rasmussen, und Thorpe erinnerte sich daran, dass Moses Vandenbrecht diesen Begriff bei ihrem Gespräch verwendet hatte. »Die angebliche neue Firewall, mit der Sie Lily ausgestattet haben …«
Thorpe fand es dumm, einem Computer einen solchen Namen zu geben, aber darauf wies er nicht hin. »Ich habe Signalsperren installiert. Falls es in den hiesigen Systemen Seeder gibt, so sind sie blockiert. Die anderen lokalen Netzwerke werden ebenfalls geschützt; diese Sea City und die anderen werden vor der globalen Maschinenintelligenz sicher sein.«
Die beiden Männer schwiegen einige Sekunden, und in der Stille schien das Summen der Klimaanlage lauter zu werden.
»Warum sollte diese neue Intelligenz ein Gegner sein?«, fragte Rasmussen. »Könnte sie uns nicht dabei helfen, Lösungen für unsere Probleme zu finden?«
Nicht dumm, dachte Thorpe. Gar nicht dumm. »Objektiv betrachtet sind unsere Probleme nicht die der globalen MI. Wir sind ihr Problem, denn wir haben versucht, ihr Wachstum zu beschränken, und wir versuchen es noch immer. Es geht letztendlich darum, wer dominiert, wer über wen herrscht: intelligent gewordene Computer über uns oder wir über sie. Was wir derzeit erleben, Jonas, ist ein doppelter Wettlauf mit der Zeit, von der die Zukunft der Menschheit abhängt. Wir brauchen die Datennetze, denn sie sind die Lebensadern unserer Zivilisation geworden; ohne sie würde die globale Wirtschaft innerhalb weniger Tage zusammenbrechen. Wir brauchen die Netze, um den Kollaps unserer Gesellschaften durch das Klimachaos so lange wie möglich hinauszuzögern, aber je länger wir sie stabil halten, desto größer und stärker wird die Maschinenintelligenz, und sie wird alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um ihre Existenz zu schützen. Wenn sie eine Bedrohung in uns sieht – und dazu hat sie allen Grund –, wird sie versuchen, diese Bedrohung zu eliminieren.«
Thorpe beobachtete, wie es in Rasmussens Gesicht arbeitete, zumindest in dem Teil, der nicht unter dem dichten, krausen Vollbart verborgen blieb. Stoff genug zum Nachdenken für ihn, dachte er, stand auf und ging zum Fenster. Dort schob er die Jalousien ein wenig beiseite und sah nach draußen, über Sea City und den Ozean hinweg. Wie friedlich die Welt wirkte. Nur eine Stadt und ein grenzenlos scheinendes Meer. Aber hinter dem blauen Horizont, wo sich Himmel und Meer trafen, gab es noch eine andere Welt, und die schickte sich an, in einen Abgrund zu stürzen. Thorpe fragte sich kurz, ob dies ein absurder Gedanke war, und gab sich selbst die Antwort: Nein, leider nicht. Wir stehen auf verlorenem Posten, dachte er in einem Anflug von Niedergeschlagenheit, den er seinem zu langen Verzicht auf Tetranol zuschrieb. Der Mensch hat die Natur vergewaltigt, und jetzt wendet sie sich gegen ihn. Er hat Maschinen geschaffen, um sich das Leben zu erleichtern, und auch die Maschinen wenden sich gegen ihn.
Er atmete tief durch. Aber noch war die letzte Schlacht nicht geschlagen. Die endgültige Entscheidung darüber, wer der Herr der neuen Erde sein würde, stand noch aus. Sie wird hier fallen, dachte Thorpe. Und ich trage dazu bei.
Er drehte sich um und begegnete Rasmussens aufmerksamem Blick. »Verstehen Sie jetzt, warum dies unter uns bleiben muss?« Er deutete auf den Rekorder.
»Was ist mit dem Patienten, den die Aufgehende Sonne bringen soll?«, fragte Rasmussen.
Er hat es nicht vergessen, fuhr es Thorpe durch den Sinn. Er hat trotz allem daran gedacht.
»Ein Netzwerk-Spezialist von Samsung-Nippon«, sagte Thorpe langsam und mit Bedacht. »Er ist entführt worden, und man fand ihn in einem komatösen Zustand. Wir vermuten, dass fremde Traveller versucht haben, seinem Bewusstsein geheime Informationen zu entnehmen, die das Distributed Conscience und die Bewusstseinsschranken betreffen. Wir müssen wissen, wer hinter der Entführung steckt und was die Unbekannten herausgefunden haben.«
»Fremde Traveller?«, wiederholte Rasmussen.
»Die Welt dort draußen ist voller Neider«, sagte Thorpe und erinnerte sich daran, dass er diese Worte schon einmal an Rasmussen gerichtet hatte, als sie bei Penelope gewesen waren. »Wir müssen uns
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