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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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tot, während sich auf den Gegenständen, die sie umgaben, nicht einmal Staub angesammelt hatte. Zwei Personen fehlten: Es gab in dieser Foundation weder eine Florence noch einen Zacharias, was ihn aus irgendeinem Grund beruhigte.
    Nach einer Runde durch die stillen Zimmer kehrte er in den Aufenthaltsraum zurück, wo der Beamer noch immer die Szenen eines alten Schwarz-Weiß-Films bunt und dreidimensional in die Luft projizierte. Zacharias ging um Gary Cooper herum, der als Will Kane allein auf einer staubigen Straße stand, während sich die Zeiger einer Uhr der 12 näherten. Er sah ihm in die Augen, glaubte für einen Moment, den Atem des Town Marshals zu spüren, seinen Herzschlag zu hören und die Schweißperlen auf der eigenen Stirn zu fühlen. Allein stand er da, der Revolver schwer im Halfter, als er auf den Zug wartete, mit dem sein alter Feind Frank Miller zurückkehrte. Eine Geste ließ die Musik lauter werden, eine traurige, wehmütige Melodie, die Kanes Einsamkeit betonte. Und plötzlich begriff Zacharias, dass er ebenso allein war wie Gary Cooper, der die Liebe seiner Frau – Grace Kelly in der Rolle der Quäkerin Amy Kane – aufgegeben hatte, um ein letztes Mal seine Pflicht zu erfüllen. Auch er wurde verfolgt, und auch ihm fehlte die Frau an seiner Seite. Wie viel Zeit war inzwischen seit Florences Verschwinden verstrichen? Eine Stunde? Sie hätte längst zurück sein müssen, ganz gleich, wie der Ereigniswinkel beschaffen war, und dass sie immer noch fehlte, konnte nur bedeuten, dass es Probleme gab. Hatte sich sich im Space verloren, ohne ihn und ohne die Verbindung zu Lily? War der Rückkehrschock zu groß gewesen?
    Vorsichtig öffnete Zacharias sein Traveller-Radar, um nach Florence Ausschau zu halten, und fast sofort empfing er ein fremdes, suchendes Ping.
    Er erschrak und reagierte aus einem Reflex heraus, ohne nachzudenken, warf das Fenster seines Geistes, das er behutsam geöffnet hatte, wieder zu. Aber bevor es zufiel und sein Radar blind und taub machte, spürte er noch etwas anderes, hinter dem fremden Ping, ein Prickeln, das sich nicht auf eine gesuchte Person bezog, sondern auf die Präsenz eines Übergangs. Und er war nicht weit entfernt, zumindest nicht in der Horizontalen, nur einige Dutzend Meter. Die vertikale Distanz war größer.
    Noch immer klang die traurige Musik durch den Aufenthaltsraum, und Zacharias wagte nicht, sie mit einer weiteren Geste leiser werden zu lassen, denn das suchende Ping war nahe gewesen. Er sah sich um, huschte in die Ecke und duckte sich hinter die Theke einer kleinen Bar, die verschiedene Getränke anbot, alle ohne Alkohol. Auf dem letzten Hocker, an die Wand gelehnt, und der dreidimensionalen Projektion des Beamers zugewandt, saß der verschrumpelte Leichnam einer Frau, deren Alter sich kaum mehr abschätzen ließ. Zacharias sah nur ihr braunes Haar, das in langen Wellen bis fast auf die Theke reichte.
    Revolverschüsse kamen aus der Projektion, abgefeuert von Marshal Will Kane und Frank Millers Bande, und für einige Sekunden verstummte die Musik. Es wurde still, und in dieser Stille hörte Zacharias Schritte im Flur.
    »Ich weiß, dass du hier bist, Zacharias«, erklang eine Stim me. »Du brauchst dich nicht vor mir zu verstecken, Zach. Dazu besteht kein Anlass. Lass uns Freunde werden.«
    Nenn mich nicht Zach!, hätte Zacharias am liebsten laut gerufen, aber er widerstand der seltsam starken Versuchung, presste die Lippen zusammen und schwieg.
    Weitere Schüsse knallten, und andere Stimmen ertönten, viele Jahrzehnte alt. Zacharias hockte hinter der kleinen Theke, alle Muskeln gespannt und die Ohren gespitzt.
    Lange Minuten verstrichen.
    Er hörte keine weiteren Schritte – Stimmen und Musik des alten Films waren zu laut –, und wenn sich Salomo noch in der Nähe befand, so schwieg er. Als Gary Cooper schließlich seinen Blechstern den Bürgern von Hadleyville, die ihn im Stich gelassen hatten, vor die Füße warf, wagte es Zacharias, nach vorn zu kriechen und hinter der Theke hervorzuspähen.
    Der Aufenthaltsraum war leer wie zuvor, bis auf die brünette Tote in der Ecke, vor ihr ein Glas Kirschsaft, in dem noch nicht alle Eiswürfel geschmolzen waren. Der Flur jenseits der Tür lag im Dunkeln, und Zacharias fragte sich, ob dort nicht zuvor Licht gebrannt hatte. Er wusste es nicht mehr.
    Er wagte es nicht, selbst ein Ping in den Space-Äther zu schicken, denn damit hätte er sich verraten. Sollte er noch ein wenig warten, oder konnte er es

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