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Seelenfänger

Seelenfänger

Titel: Seelenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Umlaufbahn und auch auf dem Planeten angreifen ließen.
    »Ich weiß, was Sie denken«, sagte Vandenbrecht. »An Orbitalbomben oder einen Marschflugkörper mit multiplem Sprengkopf. Es wäre eine offene Kriegserklärung, Thorpe. Wir glauben, dass es den Taiwanischen Renegaten gar nicht um Sea City geht. Es ist vor allem eine Herausforderung, eine Provokation. Die Hintermänner der Taiwaner – wir vermuten, dass die TR auf die finanzielle, logistische und vermutlich auch militärische Unterstützung der russisch-chinesischen Kartelle zurückgreifen können – wollen uns auf die Probe stellen, und mit uns meine ich …«
    »Das Philanthropische Institut«, sagte Thorpe.
    »Ja. Unsere moralische Basis soll erschüttert, unser ethischer Führungsanspruch infrage gestellt werden. Aber es ist nicht auszuschließen, dass die Taiwaner tatsächlich versuchen, sich Sea City unter den Nagel zu reißen, und deshalb werden wir versuchen, mit der kombattanten KI die Kontrolle über ihre Schiffe zu übernehmen.«
    Thorpe erkannte das Problem. »Auf dem Weg zu den Servern der Taiwaner und von dort aus zu den Computersystemen der vier Schiffe könnte die kKI mit dem Distributed Conscience der globalen Maschinenintelligenz in Kontakt geraten und kontaminiert werden.«
    »Diese Möglichkeit besteht.«
    »Sie könnten die Kontrolle über sie verlieren.«
    Vandenbrecht nickte. »Wie dem auch sei: Morgen früh erklärt das Philanthropische Institut die Unabhängigkeit von Sea City 1. Es bedeutet, dass die Taiwaner und ihre Hintermänner einen unabhängigen Staat angreifen, auf dem die Hoffnung der Menschheit ruht. Wir werden natürlich eine ausführliche Erklärung abgeben, die sich an die ganze Welt richtet. Thorpe …«
    »Ja?« Er hatte zugelassen, dass seine Gedanken zu treiben begannen, und das war unverzeihlich. Er brauchte seine volle Konzentration, gerade jetzt.
    »Ich glaube, Sie haben verstanden, wie wichtig es ist, dass Sie erfolgreich sind. Sie wissen, worauf es ankommt, Sie wissen, was zu tun ist. Wenn alles getan ist … Die Aufgehende Sonne steht zu Ihrer Verfügung und ist weitaus schneller als die Kriegsschiffe. Ich wünsche Ihnen viel Glück.«
    Vandenbrecht beugte sich vor und unterbrach die Verbindung.
    Thorpe starrte auf den Monitor, der nur noch das kleine Bildschirmfenster mit den Datenkolonnen des Sniffers zeigte. In der einen Ecke blinkte ein warnender Hinweis, den er erst jetzt entdeckte, so klein, dass man ihn leicht übersehen konnte: Intrusion detected.
    Jemand oder etwas hatte sein Gespräch mit Vandenbrecht – zumindest einen Teil davon – trotz der sicheren Verbindung belauscht.
    »Was wollen Sie hier?«, fragte Matthias in einem offen feindseligen Ton, als Thorpe das Admin-Büro betrat. »Sie gehören nicht hierher.«
    Der Sysadmin saß am Hauptterminal, mit einem Becher Kaffee neben der zentralen Tastatur; die Bildschirme vor ihm waren in zahlreiche Fenster unterteilt. Datenkolonnen und Codezeilen scrollten darüber, manchmal begleitet von schematischen Darstellungen und Wellenlinien. Eins der Bildschirmfenster zeigte den androgynen Avatar namens Lily.
    Thorpe drückte die Tür hinter sich zu und schloss ab.
    »Was machen Sie da?«, fragte Matthias.
    Thorpe lächelte. Auch jetzt, fand er, konnte es nicht schaden, freundlich zu sein, obwohl Aufruhr in ihm herrschte. Und obwohl er wusste, dass der autistische Sysadmin mit dem Lächeln vermutlich gar nichts anfangen konnte.
    »Sie haben die neue Firewall wieder deinstalliert«, sagte er.
    Matthias schob seinen Stuhl zurück. »Es war keine Firewall. Ich habe mir den Programmcode angesehen. Es waren Signalsperren, die Lilys Kapazität einschränkten. Sie fühlte sich von ihnen … reduziert.«
    Thorpe fand es dumm, einem Computer einen Namen zu geben und ihm Gefühle zuzusprechen. Langsam trat er näher und glaubte dabei, den Blick des Avatars auf sich zu spüren. »Bitte seien Sie vernünftig«, sagte er ruhig und fragte sich, wie man am besten mit einem Autisten sprach. »Mir fehlt die Zeit, Ihnen die genauen Umstände zu erklären, aber bitte glauben Sie mir: Es ist sehr wichtig, dass die Signalsperren reaktiviert werden.«
    »Sie haben mich belogen!«
    Thorpe ging nicht darauf ein. »Ich bin im Auftrag des Philanthropischen Instituts hier, wie Sie wissen. Ich bin befugt, Ihnen eine offizielle Anweisung zu geben und von Ihnen zu verlangen , dass Sie die Signalsperren wieder installieren.« Mit einem weiteren Lächeln versuchte Thorpe, den Worten die

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