Seelenfeuer
vergangenen Nacht, und eine Wetterbesserung war nicht in Sicht. Überall stand das Wasser in den ausgefahrenen und unbefestigten Wegen. Johannes wählte den gleichen Weg zurück, den Luzia vor etwas weniger als einem Jahr gemeinsam mit Matthias gekommen war.
Außerhalb der Stadtmauern wirkte die Landschaft wie mit einer Sense niedergemäht oder dem Zorn Gottes ausgesetzt. Die Felder lagen brach und glichen eher Schlammlöchern als einer Heimat für die Ähren. Nicht eine Kornblume und kein Klatschmohn säumten ihren Weg, dafür lagen immer noch stark verweste Tierkadaver in den flachen Seen, die vor dem Unwetter saftige grüne Wiesen gewesen waren.
»Man sollte den Wasenmeister dafür zur Verantwortung ziehen. Schließlich ist es seine Aufgabe, verendete Tiere zu verbrennen oder zu verscharren. Dieser Gestank ist geradezu bestialisch!«, schimpfte Basilius leise vor sich hin.
»Nun, wahrscheinlich gibt es so viele tote Tiere, dass er seiner Arbeit nicht Herr werden kann«, antwortete Johannes.
»Im Korb hinter der Wolle habe ich ein paar Seifenstücke eingepackt, wenn du möchtest, halten wir an, damit du nicht so sehr leiden musst«, schlug er fürsorglich vor, als er Luzias wächsernes Gesicht sah, doch sie schüttelte den Kopf.
»Dann nimm wenigstens das«, sagte er und reichte ihr ein sauberes Tuch aus den Taschen seines Gewandrocks. Während sich Luzia das Leinen vor die Nase hielt, atmete sie den Duft von Verbene.
»Ist das Eisenkraut?«, fragte sie verwundert.
Johannes nickte. »Ja, die Franzosen lieben es. Es soll nicht nur gegen allerlei Verwünschungen zum Einsatz kommen, sondern wird dort auch als Likör getrunken.«
»Ich habe davon gehört. Die heilige Hildegard von Bingen empfahl das blühende Kraut bereits bei Steinleiden der Niere und der Galle und, etwas weniger dramatisch, bei Halsentzündungen und schlecht heilenden Wunden. Darüber hinaus habe ich in einer uralten Schrift, die mir in Basilius’ Bibliothek in die Hände fiel, gelesen, dass unsere Vorfahren mit seiner Hilfe in die Zukunft sahen«, sagte Luzia, während sie über eine Brücke rumpelten.
»Die Wurzel wird bevorzugt von Mitte Juli bis Mitte August geerntet, während der Hundsstern aufgeht und weder die Sonne noch der Mond am Himmel stehen. Allein Sirius darf dabei zusehen, wenn die hochwirksame Wurzel mit einem eisernen Werkzeug ausgegraben wird«, ließ sie Basilius an seinem Druidenwissen teilhaben. Ein feines Lächeln umspielte seinen Mund. Er freute sich über ihre angeregte Unterhaltung. Luzia hatte sogar den Gestank darüber vergessen und wirkte lange nicht mehr so bleich wie noch zuvor.
Doch die Freude war von kurzer Dauer, denn bald zogen
Obstbäume an ihnen vorbei, die weder Blätter noch Früchte trugen.
»Dabei wären jetzt die ersten wilden Zwetschgen reif, und Äpfel gäbe es auch schon bald«, flüsterte Luzia traurig.
Die gesamte Landschaft war in Mitleidenschaft gezogen. Selbst im Wald hatte der Sturm eine breite Schneise aus umgestürzten Bäumen hinterlassen.
Sie trafen auf ein paar Männer, die noch immer die umgeknickten Stämme der Fichten und Kiefern zersägten.
»Johannes, bitte halte die Pferde an, ich möchte die Bauern etwas fragen«, bat Basilius.
Der Medicus nickte und lenkte die Braunen an den Wegrand, wo Basilius abstieg und über dicke Baumstämme kletterte.
»Gott zum Gruße!«, begann Luzias Onkel. »Da habt ihr bei Gott eine schwere Arbeit zu verrichten.«
Die in einfache braune Kittel gekleideten Männer nickten und stimmten dem Apotheker zu. Sie waren argwöhnisch und blickten etliche Male über die Schulter hinter sich, ehe sie ihre Arbeit erneut aufnehmen wollten, doch Basilius ließ nicht locker.
»Sind die Schäden auf den Sturm zurückzuführen?«, fragte er vorsichtig. Ihm entging nicht, dass die Leute nicht mit ihm sprechen wollten. Als fürchteten sie sich vor etwas, ging es Basilius durch den Kopf.
Der Jüngste, ein schlaksiger Bursche, der weniger misstrauisch wirkte als die anderen, legte die Axt beiseite und rieb sich die schmutzigen Hände am Kittel sauber.
»Hört, ich weiß nicht, wer Ihr seid, aber Ihr solltet sehen, dass Ihr weiterkommt. Hier geht der Teufel selbst um«, gab der Mann zur Antwort.
»Wie kommt Ihr denn darauf?«, wollte Johannes wissen, der ebenfalls vom Wagen gestiegen war.
»Wir bewirtschaften die Höfe um Ravensburg herum, und der Sturm hat uns alles genommen, womit wir unsere Familien hätten ernähren können. Einzig das Holz können wir
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