Seelenfeuer
Bodensee lässt Euch seine besten Grüße ausrichten. Er bat mich, Euch seine allerherzlichste Einladung zur Hochzeit zu überbringen.«
Voller Überraschung sah Luzia zu ihrem Onkel, der den Mann mit einem Nicken aufforderte fortzufahren.
»Die Vermählung mit Ida Allgaier ist auf Mariä Himmelfahrt in der Stunde vor dem Mittagsläuten angesetzt. Und ich
soll Euch ausrichten«, wandte sich der Mann speziell an Luzia, »dass er sich auf ein Wiedersehen mit Euch freut und dass er ein Nein nicht gelten lässt.« Der junge Mann mit dem Pferdegebiss und den staubigsten Stiefeln, die Luzia je gesehen hatte, leierte den auswendig gelernten Text herunter.
»Matthias heiratet«, flüsterte Luzia. »Ich freue mich sehr für ihn.«
Basilius pflichtete ihr bei. Für ihn bedeutete die Nachricht ein Geschenk des Himmels, wenn auch aus einem ganz anderen Grund.
Nach jener unseligen Woche, in der der Apotheker mit Johannes in Ulm geweilt und Kaplan Grumper begonnen hatte, seine Nichte öffentlich in der Kirche anzuklagen, verging kein Tag, an dem Luzia nicht angefeindet wurde. Immer häufiger kam sie verstört von ihren Besorgungen zurück. Sie war blass und dünn geworden. Und seitdem dachte Basilius darüber nach, wie er Luzia unter irgendeinem Vorwand aus der Stadt bringen könnte. Doch all seine Versuche waren bislang kläglich gescheitert. Weder Pater Wendelin, mit dem er gleich nach seiner Rückkehr aus Ulm in Briefwechsel getreten war, noch ihm selbst war bislang etwas Vernünftiges eingefallen. Zwar wollte der Pfarrer zu Seefelden Bruder Markus, dem Botanicus des Klosters Reichenau, einen Brief schreiben, damit er die vor einem Jahr ausgesprochene Einladung bekräftigte, doch eine Antwort hatte Basilius bisher nicht erhalten. Basilius wusste, wie gern Luzia die Gärten Walahfrid Strabos besuchen würde. Gemeinsam hofften sie nun, Luzia würde dann einem Aufenthalt am Bodensee zustimmen, denn bisher wollte sie von einer Reise nichts wissen.
Selbst Johannes, der sogar mit Luzia schimpfte und sie als störrisch und rechthaberisch bezeichnete, hatte bislang keinen Erfolg gehabt. Alle Ermahnungen schienen an ihr abzuprallen.
»Die Frauen sollen sich auf meine Hilfe verlassen können, wenn ihre schwere Stunde naht. Und außerdem: wenn ich Ravensburg jetzt den Rücken kehre, liegt der Verdacht nahe, ich würde vor etwas davonlaufen, das ich nie begangen habe! Einzig mein Bleiben wird die Leute davon überzeugen, dass ich weder das Wetter herbeizaubere noch ihre Tiere verenden lasse«, beharrte Luzia entschieden und warf die Zwiebel, der sie gerade die Haut abzog, mit einer energischen Geste auf den Tisch.
Basilius und Johannes wussten, wie sehr sie unter den Vorwürfen litt und wie viele Sorgen es ihr bereitete, dass immer seltener nach ihr verlangt wurde. Freilich rief man sie noch ab und an zu einer Niederkunft, aber die Ravensburger vertrauten wieder sehr viel öfter auf Gretes Gebete als auf Luzias tatkräftige Unterstützung. Was sich augenblicklich an der steigenden Zahl der Sterbefälle ablesen ließ.
Deshalb erschien Basilius die Einladung zu Matthias’ Hochzeit wie eine Rettung aus allerhöchster Not. Er wusste, Luzia würde Matthias diesen Wunsch nicht abschlagen können, auch wenn sie das jetzt noch nicht zugeben wollte.
»Bruder Markus lädt uns alle zu einem Besuch in das Kloster Reichenau ein«, verkündete Luzia nicht ohne Stolz einige Tage später. »Er schreibt, er würde sich auf einen regen Austausch mit Pater Wendelin und mir freuen.« Während ihr Blick über Pater Wendelins Brief flog, röteten sich ihre Wangen.
Basilius seufzte erleichtert auf. Endlich war eine günstige Antwort des Pfarrers aus Seefelden gekommen.
»Und Abt Johann von Nordstetten freut sich im besonderen Maße auf dich, Onkel Basilius. Pater Wendelin schreibt, wenn es die Zeit des Abtes gestatte, widme er sich gerne der Pharmakologie. Nun scheint ihm unser Besuch Anlass für einen persönlichen Austausch mit euch beiden zu sein«, trug Luzia weiter vor.
Basilius sah auf. »Abt Johann von Nordstetten?«, wiederholte er und rieb sich erfreut die Hände. Für eine ordentliche Fachsimpelei unter Spezialisten würde er sogar eine Fahrt auf dem rumpelnden Wagen auf sich nehmen.
»Glaubst du, die Ravensburger können eine Zeitlang auf dich verzichten?«, fragte er Johannes mit einem Augenzwinkern.
»Wenn auch Luzia möchte, dass ich euch begleite, wird ihnen nichts anderes übrigbleiben!«
Luzia wusste nicht, was sie sagen
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