Seelenfeuer
paar Hühner flogen gackernd davon, sie hatten sich aus ihrem Käfig befreit und
nutzten die unerwartete Gelegenheit zur Flucht, ehe sie der Marktaufseher wieder einfing. Bei einem Zuckerbäcker kaufte Luzia weiche, mit Apfelmus gefüllte Törtchen, die sie sich einpacken ließ, bevor Johannes alle gegessen hatte.
Sie fragten eine ältere Frau, die ihnen mit einem Laib Brot unter dem Arm entgegenkam, nach dem fürchterlichen Hagelunwetter.
Die Alte bekreuzigte sich rasch. »Plötzlich wurde es dunkel. Der Wind schob eine schwarze Walze aus Wasser und Eis über den See herein. Das Wasser brodelte wie in einem Wurstkessel und verschluckte einige Fischer, die gerade dabei waren, ihre Netze einzuholen. Gelbe Blitze zuckten vom Himmel, und der Donner dröhnte weit übers Land!«
»Und die Schäden?«, wollte Johannes wissen.
»Die haben sich Gott sei Dank in Grenzen gehalten. Sicher gibt es auch hier einige Felder und Weinberge, die dem Unwetter zum Opfer gefallen sind. Schlimmer ist es, glaube ich, weiter oben, bei den Markdorfern oder in Ravensburg gewesen. Unlängst erzählte ein Wanderprediger, dort stehe kein Stein mehr auf dem anderen und kein Feld sei heil geblieben. Dort oben hungern sie bereits.«
Johannes bestätigte das Gesagte für Ravensburg und verabschiedete sich. Der Eindruck hatte nicht getäuscht, dass es hier ein wenig glimpflicher abgegangen war.
Luzia wollte unbedingt noch über die steile Steigstraße zum See hinunter, ließ sich aber von Basilius umstimmen. Der alte Mann hatte genug von der Reise, er wollte sich endlich in einen bequemen Stuhl setzen und sich einen Becher Bodenseewein munden lassen.
Nach Meersburg ging es weiter am Bodenseeufer entlang, Richtung Seefelden. Mittlerweile hatte es die Sonne vollends geschafft, sich gegen die Wolkendecke durchzusetzen, und verwandelte das vormals graue Wasser in einen glitzernden, in allen Blautönen schimmernden Saphir. Letzte Wolkenschleier gaben den Blick auf die schneebedeckten Eisriesen im Osten frei, die sie willkommen hießen.
Sie hatten bereits die lichten Wälder, die Seefelden umgaben, erreicht, als einige Schwäne von einem entlegenen Weiher über ihre Köpfe hinwegflogen, ehe sie auf dem See landeten.
Hinter der nächsten Biegung erblickte Luzia bereits den Kirchturm von St. Martin. Ihr Herz sprang ihr vor Freude fast aus der Brust, es hämmerte wie wild gegen ihre Rippen.
Johannes spürte ihre lebendige Freude und suchte nach ihrer Hand, was Luzia auch gestattete. Das warme Gefühl des Heimkommens erfüllte auch ihn, und sogar Basilius wagte noch ein Lächeln, obwohl er endgültig genug hatte vom Gerumpel der Fahrt.
17
D as Fuhrwerk wurde von einer Gruppe lachender Kinder begleitet. Einigen hatte Luzia selbst auf die Welt geholfen. »Sie sind da! Luzia ist wieder daheim! Elisabeth, Jakob, Mechthild, Matthias! Luzia ist zurück!«, schrien sie im Chor und sorgten dafür, dass die halbe Gemeinde aus den Häusern sprang, um zu sehen, was es in der Gasse Aufregendes gab.
Zu Hause in der Fischergasse hießen Elisabeth und Jakob sie mit der ganzen Freude ihrer Elternherzen willkommen, und während sich Befürchtungen zerstreuten und Sorgen lösten, wurde Luzia nicht müde, ihre Fragen zu beantworten.
»Geht es euch gut? War die Fahrt anstrengend? Warum bist so blass?«, und noch vieles mehr wollten sie wissen.
Sie hatte noch nicht die Schwelle übertreten, da stürmte Matthias übermütig herbei. Er riss Luzia an sich und umarmte sie so fest, dass ihr die Luft knapp wurde, ehe er sie wie in Kindertagen im Kreis schwang.
»Es tut so gut, dich zu sehen und dich in den Armen zu halten«, rief er überschwänglich und lachte genau wie früher. Doch plötzlich besann er sich und schien sich an etwas zu
erinnern. Er räusperte sich und ließ Luzia los. Dann drehte er sich nach der Frau um, die mit ihm gekommen war.
Auf einmal fühlt es sich nicht mehr wie in Kindertagen an, dachte Luzia. Zwar war die Wärme geblieben, aber die Leichtigkeit, die Matthias immer umgeben hatte, war einer Ernsthaftigkeit gewichen, die sie dem jungen Schmied nie zugetraut hätte. Er räusperte sich noch einmal vernehmlich und klemmte die widerspenstigen Locken hinters Ohr.
»Luzia, Ida, ihr kennt euch ja von früher«, begann Matthias vorsichtig. Er suchte nach Worten. »Ja, also, so Gott will und sie es sich nicht noch anders überlegt, wird Ida in ein paar Tagen meine Frau«, sagte er schließlich und lächelte schüchtern.
Luzia hielt ihr die Hand hin.
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