Seelenfeuer
Astrologen
berührt
?«
»Das mußte ich doch, um –« begann Selene, doch der Arzt gebot ihr mit einer unwirschen Handbewegung zu schweigen.
»Das ist höchst ungewöhnlich. Damit hatte niemand gerechnet«, erklärte er verärgert. »Ich muß erst sehen, was da zu tun ist.« Damit eilte er zur Tür hinaus.
Als er ein wenig später zurückkam, sagte er: »Die Frau kann mitkommen.«
Durch ein Gewirr von Korridoren führte er sie in einen Raum, den er schlicht den Pavillon nannte. Selene sah sich staunend um. In dem großen Saal standen an einer Wand nebeneinander aufgereiht mehrere Betten; in der Wand gegenüber führte eine breite Tür auf eine Terrasse hinaus. Die Betten waren alle belegt, und die Menschen, die in ihnen lagen, litten, wie Selene im Vorübergehen sah, alle an einer Krankheit oder Verletzung. Blumengirlanden schmückten Wände und Zimmerdecke; neben jedem Bett lehnte ein großes Schwert; die Luft war von Weihrauch geschwängert.
Die Patienten lagen auf weißen Laken, ihre Köpfe ruhten auf weißen Kissen, weiße Decken lagen über ihren Körpern. Auf kleinen Tischen zwischen den Betten warteten Schalen mit Wasser, Verbandzeug und Räucherstäbchen; Pflegerinnen standen über die Patienten gebeugt – wuschen sie, wechselten einen Verband, gaben ihnen zu essen; und während sie sich mit den Patienten beschäftigten, lachten und scherzten sie ohne Unterlaß. Einige der Pflegerinnen sangen sogar, und in der Mitte des Saals stand ein Mann und redete; dem allgemeinen Gelächter nach zu urteilen, erzählte er irgendeine lustige Geschichte.
Im letzten Bett erkannte Selene den alten Mann, den Dr.Singh ihnen als Nimrod, seines Zeichens Hofastrologe, vorstellte. Drei schöne Frauen saßen an seinem Bett. Sie sangen und klatschten mit den Händen den Takt. Als Nimrod die Augen zufielen, beugte sich eine von ihnen über ihn und schlug ihm auf die Wange. Sofort riß er die Augen wieder auf.
»Was tun sie da?« fragte Selene, am Fuß des Bettes stehend.
Dr.Singh antwortete ihr mit sichtlichem Widerwillen. »Sie halten ihn wach. Wenn du eine Heilerin bist, müßtest du wissen, daß ein Kranker bei Tag nicht schlafen sollte.«
Ohne auf die Geringschätzung in seinem Ton zu achten, fragte Selene: »Wie nennt ihr diesen Ort?«
»Den Pavillon.«
»Aber – was ist es für ein Ort?«
Dr.Singh runzelte die Stirn. Er und Selene hatten Griechisch miteinander gesprochen, doch ihm fiel in dieser Sprache kein passendes Wort ein, um diesen Raum zu beschreiben. Er sagte es ihr schließlich in Sanskrit.
»Wir sagen
chikisaka
dazu. Es ist der Ort, wo wir unsere Kranken versorgen. Wie nennt ihr ihn in deiner Heimat?«
Selene schüttelte den Kopf. Auch ihr fiel kein griechisches Wort dafür ein. Der Grund dafür war, daß sie keinen Ort kannte außer den Äskulap-Tempeln, wo die Kranken versorgt wurden.
»Bei uns gibt es so etwas nicht«, sagte sie.
Seine Miene zeigte Verachtung. Fremde, dachte er. Was denkt sich der Astrologe nur, daß er mit ihnen zu sprechen wünscht?
Er wandte sich ab und trat neben das Bett, wo immer noch die drei singenden Frauen saßen. Während er sich über den Astrologen neigte und in seiner Sprache mit ihm sprach, sah Selene sich noch einmal in diesem erstaunlichen Raum um und gewahrte diesmal, in einem schattigen Winkel stehend, einen kleinen, rundlichen Mann, der sie beobachtete. Das Gesicht war fast ganz von einem buschigen schwarzen Bart verdeckt, über dem ein Paar mißtrauischer Augen blitzte.
»Du darfst jetzt an den Daniel herantreten«, sagte Dr.Singh barsch. »Aber fasse dich kurz.«
Selene blickte in das graue Gesicht hinunter. Sie sollten ihn schlafen lassen, dachte sie besorgt und wünschte, die drei Sängerinnen würden sich entfernen.
»Sei gegrüßt«, sagte sie leise. »Ich bin Selene.«
Die milchigen Augen richteten sich auf ihr Gesicht.
»Du
hast mir das Leben gerettet?« fragte Nimrod mit krächzender Stimme.
»Ich und mein Freund«, antwortete sie mit einer Geste zu Wulf. »Er hat den Falken vertrieben. Ich habe deine Wunden versorgt.«
Nimrod seufzte. »Dieser verwünschte Vogel hat meinen Kopf mit einem Hasen verwechselt. Es war mein eigener Fehler. Ich hätte mich Mudras Jagdgesellschaft gar nicht anschließen sollen.«
Er war sichtlich erschöpft, und das Reden strengte ihn an. Selene hob die Hand, um seine Stirn zu befühlen.
»Nicht!« rief Dr.Singh scharf.
Sie sah ihn erstaunt an.
»Du darfst den Daniel nicht berühren.«
»Aber ich muß doch
Weitere Kostenlose Bücher