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Seelenfeuer

Seelenfeuer

Titel: Seelenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Perser, gebaut worden war. Mählich stieg das flache Land der Küste zu sanft gewellten Hügeln an, die die Reisenden zu den steilen Hängen des Zagros hinaufführten. Die Luft wurde dünner und kühler. Zehn Tage nach ihrem Aufbruch von der Küste erreichten sie das sogenannte Persische Tor, wo dreihundert Jahre zuvor der große Alexander eine erbitterte Schlacht geschlagen hatte.
    Selene fühlte sich trotz der anstrengenden Reise frisch und stark, wie von einer neuen Kraft beseelt. Hier oben schienen die Sterne heller zu leuchten, und der Mond, der die Eichenhaine mit silbernem Licht übergoß, war groß und prall. Die Luft war berauschend in ihrer Klarheit und Reinheit. Prickelnde Erregung packte Selene, als sie mit Wulf zusammen dem Führer und seinen Eseln den mondhellen Bergpaß hinauf folgte. Bald würden sie das Ziel ihrer Reise erreicht haben; jenseits der Anhöhe würden sie das alte Persepolis sehen, von wo aus sie in ein paar Tagen ihre Reise nach Westen, in die Heimat, beginnen würden.
    Sie konnte sich Persepolis genau vorstellen, der Schiffskapitän hatte es ihr auf der Überfahrt nach Persien geschildert. »Es liegt auf einer künstlich ummauerten Terrasse mitten in den Bergen«, hatte er gesagt, »und es ist ein einziger Garten mit Bäumen, Blumen und Gräsern. Kanäle und Wasserläufe fließen dort, und es gibt Wildvögel und zahme Gazellen. Die Paläste der Adligen schimmern in der Sonne. Euch wird der Atem stocken, wenn ihr es seht.«
    Als sie endlich die Anhöhe erklommen hatten, machten sie halt, um hinunterzuschauen. Sie standen zu hoch, um deutlich sehen zu können, aber vor Selenes Auge stand klar der gewaltige Palast aus massigem Stein und Zedernholz, in leuchtenden Farben bemalt und mit tausend goldenen Quasten behangen. Persepolis, dachte sie selig. Eine weiterer Schritt auf dem Weg zu ihrer Bestimmung; die Götter hatten sie hierhergeführt.
    Bald hatten sie den Abstieg über den Osthang hinter sich und folgten der Straße zum Plateau. Es war Mitternacht, und der Mond stand hoch am Himmel. Ihr Weg schien wie von einer Fackel erleuchtet. Und während sie auf der alten Königsstraße vorwärtsschritten, bemächtigte sich Selenes ein unheimliches Gefühl, das sie sich nicht erklären konnte.
    Eine Stille, die unnatürlich schien, hing schwer über dem Tal; als läge die unsichtbare Hand eines Gottes über dem Kessel und schlösse ihn ab vom Rest der Welt. Der Schlag der Eselshufe hallte laut in der Stille. Selene und Wulf begannen sich umzusehen, verwirrt zuerst, dann zunehmend beunruhigt. Als sie die alte Holzbrücke über den Fluß Pulvar überquerten, erzählte der Führer von ›Sikander‹, dem großen Alexander, der vor langer Zeit dieses Land erobert hatte und der, um den Persern seine Macht zu zeigen, diese Festung in Brand gesetzt und zugesehen hatte, wie Persepolis in Flammen aufgegangen war.
    Ungläubig blickte Selene auf die Steinhaufen, die abgebröckelten Mauern und umgestürzten Säulen, die einst zum Palast Darius des Großen gehört hatten. Hier gab es keine Gärten, keine Bäume und keine Blumen, nicht einmal Gräser – nur kahles, braunes Land, unfruchtbar, als hätten es die Götter verflucht.
    Der Führer erzählte weiter, während Selene und Wulf ihm schweigend zum Tor des Xerxes folgten. Kein Gold glänzte hier; keine buntbemalten Säulen glänzten im Mondlicht. Der Schiffskapitän hatte ihnen etwas erzählt, das er irgendwo gehört hatte. Er war niemals in Persepolis gewesen. »O Wulf«, flüsterte Selene. »Das ist eine tote Stadt. Hier gibt es keine Menschen.«
    Wulf sah zu den wenigen Säulen hinauf, die noch standen. Was für Götter mochten diese Stadt gebaut haben und warum hatten sie sie schändlichem Verfall überlassen?
    »Wulf«, sagte Selene enttäuscht, »wir sind in eine tote Stadt gekommen. Hier ist nichts. Warum haben uns die Götter hierhergeführt, wo es nichts gibt als Trümmer und Tote? Nun müssen wir weiterziehen, in eine andere Stadt. Ach, ich bin das Umherwandern so müde …«
    Plötzlich erschöpft lehnte sie sich an Wulf, und der schloß die Arme um sie. Der Führer wies auf einen Platz in den Ruinen, wo er sein Lager aufschlagen wollte, und ging mit seinen Eseln davon.
    Selene und Wulf standen eng aneinander geschmiegt in der Kälte der Nacht. Sie waren so müde, sie hatten einen so weiten Weg hinter sich, waren so voller Hoffnung gewesen, nur um jetzt entdecken zu müssen, daß sie weiterziehen mußten, in eine andere Stadt, auf einer

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