Seelenfeuer
Lasha war hinter Selene getreten. »Erregt dich die Vorstellung, Fortuna, Kazlahs Frau zu werden? Es wird getuschelt, daß er ein hervorragender Liebhaber ist, höchst erfahren in den raffiniertesten Praktiken der Liebe. Stell dir nur vor: Ich habe gehört, daß Kazlah gern mit –«
»Meine Königin.« Selene drehte sich um. »Ich bin zur Ehe noch nicht bereit. Ich bin es nicht – nicht wert, die Frau des Leibarztes zu werden.«
Lasha lächelte. »Hm, vielleicht hast du recht«, meinte sie mit einem Seufzer der Befriedigung. »Zumindest augenblicklich. Vielleicht solltest du vorläufig allein bleiben. Aber du verstehst wohl, Fortuna, falls du Dummheiten im Kopf haben solltest, du zum Beispiel mit Gedanken an Flucht spielen solltest, so werde ich das herausbekommen, noch ehe du den ersten Schritt unternommen hast, glaube mir. Und dann wird mir nichts anderes übrigbleiben, als Kazlahs Bitte stattzugeben. Er würde dafür sorgen, daß du nie wieder an Flucht denken würdest. Kazlah würde dich Gehorsam lehren, Fortuna, das verspreche ich dir.«
Selene sah die Königin an und fröstelte unter ihrem kalten Blick. Dann fielen ihr Samia und Darius ein, und sie dachte, ich muß fort von hier.
26
Als das nächtliche Klopfen an ihrer Tür dem schlaflosen Warten endlich ein Ende bereitete, kleidete sich Selene hastig an, nahm ihren Medizinkasten und folgte dem stummen Wächter durch den menschenleeren Gang. Erst nach einer Weile fiel ihr auf, daß etwas nicht stimmte.
»Das ist doch nicht der Weg zum Harem«, sagte sie zu ihrem Führer.
Er warf ihr nur einen verständnislosen Blick zu und ging weiter. Er hätte ihr auch gar nicht sagen können, wohin er sie führte; die Palastwachen waren alle stumm. Ein Klopfen an ihrer Tür, ein Winken, das sie zu folgen aufforderte, waren die einzigen Zeichen, die gegeben wurden, wenn man Selene holte.
Verwundert und ein wenig beklommen folgte sie ihm durch die öden Gänge, durch zugige Torbögen, an stillen Zimmern vorbei und schließlich eine Steintreppe hinunter in einen Teil des Palasts, in dem sie nie zuvor gewesen war. Mit wachsender Beunruhigung fragte sie sich, wohin er sie führte. Die Luft wurde kalt und klamm, die Mauern und der Boden unter ihren Füßen holprig. Als der Wächter schließlich haltmachte, wußte Selene, daß sie weit von der Mitte des Palasts entfernt war – weit entfernt auch vom Harem.
Eine einfache Holztür öffnete sich, und Selene trat in einen kleinen Raum, der von Fackeln an den Wänden hell erleuchtet war. Nur ein Tisch und ein Sessel standen in dem Raum. Der Boden war mit Sand aufgeschüttet, und die Luft war feucht, der Fluß mußte also nahe sein.
Selene blieb stehen, als die Tür hinter ihr zufiel, und starrte verwundert auf die kleine Gruppe Menschen in der Mitte des Zimmers. In dem einzigen Sessel hing reglos ein junger Mann, dessen Arme und Beine angeschnallt waren. Sein Kopf war nach rückwärts geneigt und sein Mund weit geöffnet. Hinter ihm stand ein vierschrötiger alter Mann, in dem Selene einen der Hofärzte erkannte, und vor dem Sessel, über den Bewußtlosen gebeugt, stand Kazlah.
Er beachtete Selenes Ankunft nicht, sondern konzentrierte sich auf seine Arbeit. Selene hatte keine Ahnung, was er tat. Er schien am Hals des Bewußtlosen beschäftigt zu sein.
Stumm beobachtete Selene den großen, hageren Mann, der beinahe reglos im flackernden Licht der Fackeln stand, eingehüllt von einer Stille, die so tief war wie die in einem Grab. Zwei Wachen waren auf der anderen Seite des Raumes zu beiden Seiten einer zweiten Tür postiert, sonst war niemand da. Warum hatte man sie hierhergeholt?
Darius fiel ihr ein – er hatte gewiß inzwischen nach ihr geschickt und erwartete ihr Eintreffen im Harem. Tödlicher Schrecken durchzuckte sie. Kazlah weiß von unserem Plan, schoß es ihr durch den Kopf. Darum hat er mich hierherbringen lassen.
Aber, weiß er wirklich davon? Oder ist das vielleicht nur ein Zufall?
Als Kazlah schließlich von dem Bewußtlosen wegtrat und sich nach ihr umdrehte, spielte ein kaltes Lächeln um die schmalen Lippen.
»Du hast dir natürlich über unsere Palaststummen deine Gedanken gemacht, Fortuna«, sagte er in seidenweichem Ton. »Und möchtest zweifellos in das Geheimnis eingeweiht werden.«
Schreckliche Vorahnung schnürte Selene die Kehle zu. Was sagte er da? Sie sollte sich über die Stummen Gedanken gemacht haben? Niemals hatte sie auch nur das geringste Interesse geäußert.
Ihr Blick glitt zu
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