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Seelenfeuer

Seelenfeuer

Titel: Seelenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Auskunft gaben – ein Herz, ein Ausschlag, eine Schwellung. Die Ärmsten hatten einfach einen Fetzen Stoff umgebunden, um den Kopf oder einen Arm oder ein Knie.
    Als Wulf und Selene den Brunnen erreichten, sagte Selene: »Oh, was ist das nur für ein Ort?«
    Sie hatte laut gesprochen, um von Wulf gehört werden zu können, und sogleich rief jemand hinter: »Ihr müßt fremd sein in Babylon, wenn ihr den Gilgamesh-Platz nicht kennt. Er ist berühmt auf der ganzen Welt.«
    Selene drehte sich um. Der Mann hinter ihr, stattlich und wohlgekleidet, stand von einem Schemel auf. Er hatte gerade einer Frau, die auf Decken an seiner Seite lag, einen Becher zu trinken gereicht.
    »Meine Frau«, sagte er. »Könnt ihr ihr helfen?«
    Selene blickte auf die Frau hinunter, die kaum mehr als Haut und Knochen unter dem hellen Frühlingshimmel lag, dicht neben einem Mann, der an einem eiternden Geschwür an seinem Bein kratzte.
    »Warum hast du deine Frau hierhergebracht?« fragte Selene. »Warum sind alle diese Menschen hier?«
    Er sah sie verständnislos an. »Sie ist krank! Wohin sonst sollte ich sie bringen?«
    »Aber warum hierher, an diesen schrecklichen Ort? Warum nicht zu einem Arzt?«
    »Einen Arzt aufzusuchen wäre Gotteslästerung, und wir Babylonier sind fromme Leute. Einen Arzt aufzusuchen wäre Auflehnung gegen das Urteil der Götter; darum bringen wir unsere Kranken auf den Gilgamesh-Platz und bitten die Götter um Hilfe. Du siehst die Schilder, die jeder trägt.« Er wies auf seine Frau, auf deren aufgeschwollenem Leib ein Schild lag, das die Aufschrift trug: ›Ich bin Nanna, und mein Kind ist in meinem Schoß gestorben‹. »Wir kommen in der Hoffnung hierher«, erklärte der Mann, »daß die Götter einen Menschen vorbeischicken, der einst dem gleichen Leiden ausgeliefert war und ein Mittel zur Heilung weiß.«
    Selene sah sich um und bemerkte, was ihr vorher nicht aufgefallen war: Bei vielen Kranken knieten oder standen Menschen, die auf sie einredeten und ihnen irgendwelche Mittel anboten. Aber nicht alle hatten jemand, der sich um sie kümmerte.
    »Ist das denn nicht das gleiche, wie wenn man einen Arzt aufsuchte?« fragte sie.
    »Nein, das ist etwas ganz anderes«, entgegnete der Mann mit leichtem Ärger. »Suchte man einen Arzt auf, so wäre das Auflehnung gegen das göttliche Urteil; ein Versuch, durch menschliches Eingreifen das Urteil rückgängig zu machen. So aber sind es die Götter, die selbst ihre Strafe aufheben.«
    »Strafe wofür?«
    »Für Sünden natürlich.«
    Selene sah wieder zu der bewußtlosen Frau hinunter. »Und deine Frau? Was für eine Sünde hat sie begangen?«
    Das Gesicht des Mannes verfinsterte sich. »Das Kind kann nicht von mir gewesen sein, da die Götter es töteten.«
    Selene starrte ihn an. »Du sagst, daß sie eine Ehebrecherin ist?«
    »Sie leugnet es. Aber was sonst kann der Tod des ungeborenen Kindes bedeuten?«
    Selene kniete neben der Frau nieder und legte ihr behutsam die Hand auf den Leib. Sie spürte sofort, daß kein Leben in ihm war. Die Stirn der Frau war seltsam kühl und trocken. Ihr Puls ging schnell, und das Atmen machte ihr Mühe. Selene hätte sie gern genauer untersucht, aber das ging an diesem öffentlichen Platz nicht. Sie stand auf und warf Wulf einen Blick zu, der sichtlich nervös war.
    »Ich wollte, ich könnte ihr helfen. Es gäbe vielleicht eine Möglichkeit.«
    Der Mann musterte sie argwöhnisch. »Wie denn?«
    Selene zögerte. Das Kind würde herausgeholt werden müssen. Selene hatte nur ein einziges Mal vor Jahren zugesehen, wie ihre Mutter einen solchen Eingriff vorgenommen hatte.
    »Kannst du nun meiner Frau helfen oder nicht?« fragte der Mann barsch.
    Ehe Selene antworten konnte, faßte Wulf sie beim Arm und warf ihr einen warnenden Blick zu.
    »Ich glaube nicht, daß ihr von den Göttern geschickt seid«, bemerkte der Mann unwirsch mit einem geringschätzigen Blick auf ihre Beduinentracht und ihre Reisebündel.
    »Rühr meine Frau nicht an. Macht, daß ihr fortkommt. Fort mit euch.«
    Selene wollte protestieren, aber da zog Wulf sie schon mit sich weg. Sie müßten zum Fluß, sagte er. Es sei schon spät.
    Aber Selene blieb schon nach ein paar Schritten wieder stehen und blickte sich um. Sie sah einen Mann mit verletztem Fuß, der versuchte, mit einer Krücke zu gehen; sie sah eine Frau, die sich über ein krankes Kind beugte; einen halbwüchsigen Jungen, der an der Brunnenmauer hockte, die Beine schlaff von sich gestreckt, ein Toter.
    »Wulf,

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