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Seelenfeuer

Seelenfeuer

Titel: Seelenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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sich vor ihm nieder und nahm seine Hände. »Wulf«, sagte sie leise und eindringlich. »Wir müssen es versuchen. Vielleicht ist das ein Zeichen der Götter – ein Tor nach Westen, das sich nur einen Moment auftut und dann wieder zufällt.«
    Wulf starrte auf ihren schönen Mund, während sie sprach. Er hatte ihn monatelang betrachtet, während sie sich bemüht hatte, ihn das im Osten gebräuchliche Griechisch zu lehren. Und eines Abends, während Wulf aufmerksam darauf geachtet hatte, wie ihre Lippen die fremden Wörter formten, hatte er sich plötzlich vorgestellt, wie es wäre, diesen Mund zu küssen.
    »Ja«, sagte er und hob den Blick, um ihr in die Augen zu sehen. »Ja, ich glaube, wir können es schaffen.«
    »Bestimmt«, flüsterte sie und drückte seine Hände.
    Stumm saßen sie einander gegenüber, vereint in der neu erwachten Hoffnung. Morgen! dachten sie beide, und ihre Herzen schlugen schneller.
    Dann ließ Selene abrupt Wulfs Hände los und wandte sich ab. In Armenien werde ich dir für immer lebwohl sagen, dachte sie traurig.
    Der Abschied von diesem Mann, der mit ihr achtzehn Monate des Exils geteilt hatte, würde ihr nicht leicht werden. Keinen Moment hatte er sie im Stich gelassen, während sie Seite an Seite durch Feindesland geflohen waren; er hatte sie getragen, wenn sie vor Schwäche keinen Fuß mehr vor den anderen setzen konnte, er hatte sie getröstet, wenn sie verzweifelt war, er hatte sie in den eisigen Nächten mit seinem Körper gewärmt. Sie hatte ihm von Antiochien und von Andreas erzählt und von dem Schicksal, das sie rief; Wulf seinerseits hatte ihr von seiner Heimat am Rhein erzählt, von der Frau und dem kleinen Sohn, die er zurückgelassen hatte, und nach denen er sich sehnte.
    Selene war Wulf mit einer tiefen Zärtlichkeit zugetan; sie fühlte sich von ihm beschützt und hatte zugleich das Bedürfnis, ihn zu schützen. Sein Aussehen, ein kampfgestählter, von Narben verunstalteter Körper eines Kriegers, täuschte. Er war ein Mann mit einer sanften Seele, und oft, gerade wenn sie ihn Griechisch lehrte, hatte er Selene in seinem Vertrauen und seinem Bemühen, es ihr recht zu machen, an einen kleinen Jungen erinnert. Mit der Zeit hatte sie erkannt, wie er wirklich war; ein milder Vater und Ehemann, liebevoller Beschützer seiner Familie in den fernen Wäldern Germaniens.
    Selene wußte, was Wulf trieb; das brennende Verlangen nach Rache. Unauslöschlich eingeprägt in sein Gedächtnis war das Gesicht eines römischen Offiziers, der mit seinem Heer in die Wälder gestürmt war und Wulfs Volk niedergemetzelt hatte. Die Erinnerung an dieses Gesicht hatte ihn in den vergangenen achtzehn Monaten am Leben erhalten, wenn er in seiner Verzweiflung nahe daran gewesen war aufzugeben. Immer wenn er den Namen dieses Römers aussprach, loderte ein tödliches Feuer in seinen Augen – Gaius Vatinius war es, dem sein ganzer Haß galt.
    Hoch zu Roß auf weißem Hengst hatte dieser Mann mit dem schmalen Gesicht und den grausamen Augen sein Volk niedergetrampelt. Er hatte Freda, Wulfs Frau, Gewalt angetan, hatte den Wald zerstört, das Dorf dem Erdboden gleichgemacht, die Männer in Ketten abgeführt, Frauen und Kinder schutzlos zurückgelassen.
    Selene erinnerte sich an eine Nacht achtzehn Monate zuvor. Sie hatten in der Wüste geschlafen, dicht aneinander geschmiegt im eisigen Nachtwind. Wulf war plötzlich unruhig geworden, hatte laut aufgeschrien und mit den Armen um sich geschlagen wie ein Ertrinkender. Erschrocken hatte Selene ihn an sich gedrückt und beruhigend auf ihn eingeredet, bis er aus dem Alptraum erwacht und der Name des Gaius Vatinius auf seinen Lippen erstorben war.
    Sie liebte Wulf; sie liebte ihn für seine Güte und seine Sanftheit, und sie wußte, daß diese Liebe kein Verrat an Andreas war. Sie liebte Wulf auf ganz andere Art. Ihr Gefühl für Andreas war eine Leidenschaft, die sie keinem anderen Mann je würde entgegenbringen können; er hatte ihre Seele und ihren Körper erweckt. Sie fühlte sich ihm geistig verbunden und hatte keinen Zweifel, daß sie ihm bald auch körperlich verbunden sein würde. Das Gefühl, das sie für Wulf empfand, war von Zärtlichkeit und Freundschaft bestimmt. Sie hatten so viel gemeinsam durchgestanden – er hatte für sie gesorgt, und sie für ihn. Selene verspürte einen starken Wunsch, ihn in die Arme zu nehmen und von ihm gehalten zu werden, ihn zu küssen, um ihm zu zeigen, wie lieb er ihr war, und um den Schmerz zu lindern, der ihn

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