Seelenfeuer
immer auseinandergehen. Nur einmal möchte ich ihre Lippen kosten, ihren Körper spüren …
Mit einem Ruck drehte er sich um und riß sich das Tuch vom Kopf.
Selene stand wie vom Donner gerührt. Wulfs helles Haar, das ihm fast bis zu den Hüften herabgefallen war, war kurz abgeschnitten.
»Ich habe es verkauft«, sagte er. »Auf dem Markt ist ein Perückenmacher. Er sah mich und bot mir eine Menge Geld. Gelbes Haar ist sehr begehrt, sagte er mir.« Wulf griff in seinen Gürtel und zog eine lederne Börse heraus. »Es ist sogar noch Geld übrig. Damit können wir in Persepolis jemanden finden, der uns weiterführt.«
Selene hob die Hand, um sein Haar zu berühren, doch er wich ihr aus. »Es wächst schon wieder nach.«
Sie betrachtete ihn, wie er im Zimmer umherging und die Vorräte zusammenpackte. Sie wollte ihm so gern noch etwas sagen. Aber es gab nichts zu sagen. In Persepolis würden sich ihre Wege für immer trennen. Ihre gemeinsame Reise würde enden, wie sie das immer gewußt hatte.
Die Träume, die sie während ihres Kampfes mit dem Tod heimgesucht hatten, hatten ihr den Weg gewiesen und ihr neuen Antrieb gegeben. Nur die Schwäche ihres Körpers hatte sie daran gehindert, gleich nach dem Erwachen aus dem Fieber auf dem neuen Weg voranzustürmen. Jetzt aber, nach Wochen der Genesung, war Selene kräftig und stark genug, wieder vorwärtszustreben, und sie hatte es eilig. Im Westen wartete ihre Berufung auf sie.
34
»Hilfe!« rief das flüchtende Mädchen. »So hilf mir doch jemand!«
Sie rannte durch einen der vielen abgeschlossenen Gärten des Lustpalastes, über grünen, glatten Rasen, der von tausend Sommerblumen gesäumt so bunt und prachtvoll war wie einer der Teppiche, für die Persien berühmt war. Sie rannte, als gälte es ihr Leben und sah sich dabei immer wieder mit ängstlichen Blicken um.
Ein Mann verfolgte sie. Als sie ihn auf sich zulaufen sah, schrie sie wieder und rannte noch schneller. Doch sie war ein kleines, zierliches Ding, und der Abstand zu ihrem Verfolger, langbeinig und von hohem Wuchs, verringerte sich zusehends.
Prinzessin Rani, die Bedauernswerte, beobachtete aus der Abgeschlossenheit ihrer Terrasse unbemerkt die Szene.
Das Mädchen flog über den Rasen, jagte um Hecken herum, hetzte gewundene Wege entlang, übersprang blühende Beete. Ihre leuchtend organgefarbenen Beinkleider, die sie bauschig umflatterten, waren feucht vom Strahl der Springbrunnen. An ihrer langen, ebenfalls orangefarbenen Jacke war ein Knopf abgesprungen, so daß der Ansatz ihres Busens zu sehen war.
»Hilfe!« schrie sie wieder. Aber es half nichts. Der Garten war auf allen Seiten von Mauern umschlossen, es gab keinen Ausgang; und es waren keine Menschen hier, nur Prinzessin Rani, die hinter grünumranktem Gitter verborgen war, eine schweigende Zuschauerin.
Schließlich sprang das Mädchen in höchster Verzweiflung in eine Gruppe blühender Myrtenbüsche und blieb dort keuchend auf der Erde liegen.
Der Mann hielt im Lauf inne und sah sich um. Die Hände in die Hüften gestemmt, stand er da und drehte suchend den Kopf nach allen Seiten. Als er flüchtig in Prinzessin Ranis Richtung blickte, sah sie, daß er schön war. Ein Edler, dachte sie, nach der Größe des Smaragden an seinem Turban zu urteilen. Ein schöner junger Adliger mit breiten Schultern und geradem Rücken, über dessen Muskeln sich die taubengraue Seide seiner Jacke spannte. Rani hatte keinen Zweifel an seinen Absichten. Ob das Mädchen sich bewußt war, dachte sie, daß sie sich ausgerechnet die Myrte als Schutz gesucht hatte? Die Myrte war der Venus heilig, der römischen Göttin der Liebe.
Der Mann wartete. Plötzlich sprang das Mädchen wie ein Hase aus dem Gebüsch. Der Mann lief hinzu und wollte sie greifen; doch er fing nur ihren Schleier. Das Mädchen schlug die Hände vor ihr Gesicht und rannte schreiend über den Rasen. Der Mann jagte ihr nach, Entschlossenheit jetzt im schönen Gesicht.
Prinzessin Rani hörte Miko kommen, ihre alte Magd. Die Alte stellte sich neben sie. Sie sagte nichts, beobachtete aber ebenfalls die beiden auf dem Rasen.
Endlich erreichte der Mann das Mädchen. Er packte sie, wirbelte sie herum, hielt ihre Arme fest und küßte sie auf den Mund.
Miko ließ einen Laut der Mißbilligung hören.
Draußen ließen sich die beiden jungen Leute lachend ins Gras fallen. Das Mädchen schlang dem Mann die Arme um den Hals, und während ihr erregtes Gelächter durch die Stille perlte, wandte Prinzessin
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