Seelenflüstern (German Edition)
ging. Als Mom aus der Haustür war, tappte ich zurück in mein Zimmer.
Die goldenen Strähnen in Aldens Haar schimmerten in den Sonnenstrahlen, die durchs Fenster hereinfielen. Zum ersten Mal betrachtete ich ihn bewusst im hellen Tageslicht. Er hatte hellgraue, fast silbrige Augen. Wunderschön und irgendwie unirdisch. Noch nie hatte ich es mit einem so unverschämt gut aussehenden Jungen zu tun gehabt. Und der fühlte sich für meinen Geschmack schon fast ein bisschen zu wohl bei mir. Er lag ganz entspannt auf meinem Bett.
Mein Herz machte einen Doppelsalto. Ich zog den Bademantel ein wenig fester um mich und sah in Aldens aufregende silberne Augen. Der Frotteestoff kratzte schmerzhaft an meinem Bauch. Beim Duschen hatte ich fünf sauber geknüpfte dunkelblaue Knoten direkt unterhalb meiner Rippen entdeckt – eine Wundnaht. Ich war schockiert und verwirrt. An einen Krankenhausaufenthalt konnte ich mich beim besten Willen nicht erinnern. Nur dass ich umgekippt war, wusste ich noch, sonst nichts. Nie wieder würde ich so viel Xanax auf einmal schlucken.
»Wie fühlst du dich?« Alden stützte sich auf den Ellbogen.
Verlegen trat ich von einem Fuß auf den anderen. Nur mit einem Bademantel bekleidet, kam ich mir ziemlich verletzlich vor. »Ganz okay.«
Er setzte sich auf. »Stimmt nicht. Du fühlst dich innerlich zerrissen.«
Zerrissen brachte es ganz gut auf den Punkt. Durch den rätselhaften Angriff gestern Abend in Kemah war mir endgültig klar geworden, dass ich mir die Stimmen nicht nur einbildete. Vielleicht konnte der Junge auf meinem Bett mir die eine oder andere Frage beantworten. Ich machte ein paar Schritte auf ihn zu.
»Woher weißt du, wie es mir geht?«
Er verschränkte die Hände hinter dem Kopf und streckte sich wieder gemütlich aus. »Auf dem Friedhof habe ich dir doch gesagt, dass unsere Seelen verbunden sind. Ich spüre deine Gefühle.« Er drehte sich auf die Seite. »Deshalb habe ich dich gestern Abend auch gefunden. Du warst in Gefahr. Deine Seele hat um Hilfe gerufen.«
Ich zog den Gürtel meines Bademantels noch etwas enger. »Und ich dachte schon, du spionierst mir hinterher.«
Er grinste. »Das vielleicht auch.«
»Wie bist du hier reingekommen?«
Er fischte meinen Haustürschlüssel aus der Hosentasche und legte ihn auf den Nachttisch. Anscheinend hatte er ihn aus meiner Handtasche genommen, als ich ohnmächtig gewesen war. Cleverer Geisterboy. »Ich habe dich ins Bett gesteckt, bevor deine Mutter nach Hause kam und bin zur Sicherheit bei dir geblieben.«
Ich stöhnte. Er hatte die ganze Nacht in meinem Zimmer verbracht, das mal wieder aussah wie ein Schlachtfeld.
Die Geräusche in meinem Kopf wurden lauter. Entnervt drückte ich die Handflächen an die Schläfen. »Schluss jetzt. Aufhören«, flüsterte ich. Sofort wurden die Stimmen ein bisschen leiser.
Einen Moment lang starrten Alden und ich uns angespannt an. Dann schloss er die Augen, als würde er lauschen. Was hörte er? Meine Seele?
Ich zog den Kragen des Bademantels zusammen. »Das alles passiert mir wirklich, stimmt’s? Es ist nicht bloß Einbildung. Die Toten reden tatsächlich mit mir.«
Er rutschte an die Bettkante. »Ja.«
So weiterzuleben, konnte ich mir nicht vorstellen. Das war einfach zu viel für mich. Es musste eine andere Möglichkeit geben. Ich verschränkte die Arme. »Das halte ich nicht aus. Du musst dafür sorgen, dass das aufhört.«
»Kann ich nicht.« Sein Ton war sanft, fast entschuldigend.
Mir stiegen Tränen in die Augen. »Warum nicht?«
Alden stand auf. Eine Sekunde lang dachte ich, er würde mich in den Arm nehmen. Doch er vergrub die Hände in den Taschen. »Wir sind nur Menschen, Lilian. Okay, wir sind anders als andere, aber wir können die Spielregeln nicht ändern. Kein Lebewesen auf diesem Planeten kann sich aussuchen, was es sein will. Das gilt auch für dich, Lilian.«
Mit aller Kraft wehrte ich mich dagegen, einfach loszuheulen. »Ich will das aber nicht. Es macht mir Angst.«
Er trat von einem Fuß auf den anderen, als wäre er verlegen. »Das ist normal. Aber je mehr du darüber weißt, desto weniger Angst wirst du haben. Vielleicht verstehst du alles ein bisschen besser, wenn du mir ein paar Fragen stellst. Was willst du denn wissen?«
Ich setzte mich auf die Bettkante. »Wie schaffe ich es, dass sie verschwinden?«
Er ließ sich neben mir nieder – ganz nahe, aber ohne mich zu berühren. »Du bittest sie, dir zu sagen, was ihnen fehlt, und dann hilfst du ihnen. Sie
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