Seelengesaenge
im Gebet versunken, die Hände unsichtbar für die Deckensensoren. Jansen Kovak schaltete auf eine andere Kamera um, die im Boden eingelassen war und einen Blick aus der Froschperspektive gestattete.
Gerald Skibbow hielt einen Löffel in beiden Händen und bog den Stiel unmittelbar oberhalb der Schaufel langsam und unablässig hin und her. Das Material war ein stabiles Komposit, doch Jansen Kovak konnte erkennen, daß sich bereits winzige weiße Risse über das Material zogen. Noch eine Minute, und der Löffel würde brechen – und Gerald hätte eine Stichwaffe, die zwar nicht besonders scharf war, aber mit genügend Schwung geführt dennoch schwere Verletzungen hervorrufen konnte.
»Dr. Dobbs!« rief Jansen Kovak per Datavis. »Ich glaube, wir haben ein Problem mit Skibbow.«
»Was denn nun schon wieder?« erkundigte sich Dobbs. Er hatte eben erst seinen Terminplan wieder eingeholt; die gestrige Episode mit Skibbow hatte alles durcheinandergewirbelt. Bis zu jenem Zeitpunkt hatte Skibbow eigentlich ganz gute Fortschritte bei der Genesung gemacht. Zu dumm, daß seine Tochter wieder aufgetaucht war – ganz gewiß lag es am Timing. Andererseits konnte die Tatsache, daß Marie Skibbow noch lebte, sicherlich in der Therapie von Nutzen sein und Gerald die Motivation vermitteln, ein langfristiges Ziel zu erreichen.
»Er hat einen Löffel aus der Messe geschmuggelt, Sir. Ich glaube, Mister Skibbow plant, ihn als Waffe zu benutzen.«
»Oh, großartig! Genau das, was mir noch gefehlt hat.« Hastig beendete Dr. Dobbs die Visite bei dem Patienten, den er gerade untersucht hatte, und setzte sich mit der KI der Einrichtung in Verbindung. Er suchte die Interpretationsroutine, die aus Skibbows einzigartigen Gedankenmustern Sinn filtern konnte, und öffnete einen Kanal zu der Extraktionsnanonik in Skibbows Schädel. Diese Art von heimlicher mentaler Spionage hatte absolut nichts mit ärztlicher Ethik zu tun, doch Dobbs hatte die Fesseln des Allgemeinen Ärztlichen Standes bereits vor Jahren abgestreift, als er der Königlichen Navy beigetreten war. Außerdem – wenn er Skibbow irgendwie heilen wollte, mußte er ganz genau wissen, welche finsteren Dämonen den Mann trieben. Und eine Waffe zu benutzen, wie wenig überzeugend sie auch sein mochte, war ganz und gar untypisch für Gerald Skibbow.
Es dauerte einige Zeit, bis die Bilder in Dobbs’ Verstand Gestalt angenommen hatten. Geralds Gedanken waren im Aufruhr, voll wilder Hektik, und sie wechselten immer wieder zwischen gegenwärtiger Realität und extrapolierter Phantasie.
Dobbs sah die blaßblaue Wand von Skibbows Schlafraum, gerötet an den Rändern von zusammengekniffenen Augen. Er spürte den Löffel in der Hand, die Reibungswärme, die sich im Stiel zu bilden begann. Die müden Armmuskeln, die das widerspenstige Komposit immer und immer wieder hin und her bogen. »Sie werden noch bedauern, mir in den Weg gekommen zu sein. Gott, das werden sie!«
Szenenwechsel – ein Korridor. Kovak, der voller Schmerz aufschrie und in die Knie sank. Der Löffelstiel ragte aus dem Brustteil seines weißen Kittels. Blut färbte die Stelle rot, Tropfen spritzten zu Boden. Dr. Dobbs lag bereits mit dem Gesicht nach unten im Korridor, und seine Leiche war von oben bis unten mit Blut besudelt. »Er hätte noch mehr verdient, der Mistkerl.« Kovak stieß ein letztes Röcheln aus und starb. Gerald zog das Instrument der Rache aus seinem Opfer und marschierte weiter den Gang hinunter. Krankenpfleger und Ärzte spähten furchterfüllt aus schmalen Türspalten, nur um hastig zurückzuweichen, wenn sie sahen, wer da kam. Sollten sie nur; sie wußten genau, wer das Recht und die Gerechtigkeit auf seiner Seite hatte.
Erneuter Szenenwechsel – zurück im Krankenzimmer. Der verdammte Löffel war immer noch nicht durchgebrochen. Geralds Atem ging inzwischen stoßweise. Trotzdem gab er nicht auf. Ein geflüstertes Murmeln: »Nun komm schon, verdammt!«
Szenenwechsel – der Weg durch den Guyana-Asteroiden hindurch, ein konfuses Wirrwarr aus nackten Felswänden. Er kannte den Grundriß nicht, doch er würde schon einen Weg finden. Die Raumhäfen von Asteroiden befanden sich immer in der Verlängerung der Achse. Es mußte Lifts geben oder Vakzüge …
Der Löffel brach – Szenenwechsel. Geralds verkrampfte Arme zitterten. »Jetzt geht es los. Ich komme, meine kleine Marie. Daddy kommt zu dir.«
Szenenwechsel. Flug durch den Raum. Die Sterne blau-weiße Blitze außerhalb des Schiffs, während er
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