Seelenglanz
sich die erwartete Müdigkeit nicht einstellen, stattdessen begannen ihre Beine zu zucken und ihr Magen krampfte sich unter heftigen Schmerzen zusammen. Jules rollte sich zu einem Ball, die Arme fest um die Knie geschlungen, in der vergeblichen Hoffnung, die Zuckungen und das Zittern kontrollieren zu können. Immer wieder wurde ihr schwarz vor Augen, und jedes Mal dachte sie, dass es das jetzt war und dass sich ihr Blick nicht mehr klären würde. Nur um ein ums andere Mal enttäuscht zu werden, wenn sich das Zimmer vor ihr wieder aus der Schwärze schälte. Ihr Herz raste und sie hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Schwitzend und frierend zugleich rang sie um Atem und versuchte den wachsenden Drang, sich zu übergeben, niederzukämpfen.
Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis sich ihr Bewusstsein endlich trübte.
27
Als ich den Heilschlaf endlich abschütteln konnte, war ich allein im Zimmer. Froh darüber, dass Jules auf mich gehört und sich hingelegt hatte, setzte ich mich auf. Versuchsweise bewegte ich mich, erst vorsichtig und dann, sobald ich merkte, dass ich keine Schmerzen mehr hatte, deutlich mutiger. Zu wissen, dass man heilte, ließ einen nicht weniger auf der Hut sein, als es ein normaler Mensch nach einerVerletzung sein mochte. Die Erinnerung an den Schmerz war noch frisch, und es dauerte einige Minuten, während derer ich steif auf und ab ging und ein paar Dehnungsübungen machte, bis meine Bewegungen geschmeidiger wurden.
Das T-Shirt war jedenfalls versaut. Ich zog es mir über den Kopf und warf es in den Mülleimer. Verwundert betrachtete ich die saubere Haut, die darunter zum Vorschein kam. Offensichtlich hatte Jules ihren Drang, nach meiner Wunde zu sehen, nicht unterdrücken können. Auf diese Weise hatte sie sich immerhin mit eigenen Augen davon überzeugen können, dass alles in Ordnung war. Nur zu schade, dass ich mich nicht an ihre Hände auf meiner Haut erinnern konnte.
Ich suchte mir saubere Sachen heraus, meine Jeans und die Boxershorts darunter hatten ebenfalls einiges an Blut abbekommen, und legte alles ins Bad. Bevor ich mich aus den schmutzigen Klamotten schälte und die dringend nötige Dusche nahm, wollte ich erst nach Jules sehen und ihr zeigen, dass ich wiederhergestellt war.
Die Verbindungstür war nur angelehnt und knarrte leise, als sie ich aufdrückte. Jules hatte sich wie ein kleines Kind auf dem Bett zusammengerollt und schlief. Ich wollte mich schon wieder aus dem Zimmer schleichen, als ich sah, dass sie zitterte. Die Klimaanlage war ausgeschaltet ebenso wie der große Deckenventilator. Die Luft war so aufgeheizt, dass es mir selbst ohne Hemd den Schweiß aus den Poren trieb, doch Jules fror.
Als ich nach der geblümten Überdecke griff, um sie zuzudecken, rollte etwas Rundes, Weißes herunter und fiel auf den Teppich. Ich ging um das Bett herum, um es aufzuheben, als ich die leere Wasserflasche auf dem Boden liegen sah. Und daneben drei leere Tablettenröhrchen.
Heilige Scheiße!
Ein kurzer Blick auf das Etikett genügte. Ich packte Julesund trug sie ins Bad. Sie war nicht bei Bewusstsein und hing leblos wie eine Schlenkerpuppe in meinem Griff.
»Jules!« Ich klopfte ihr mit dem Handrücken auf die Wangen, doch sie reagierte nicht. Ihre Atmung war flach, doch ihr Herz raste. »Jules! Wach auf !«
Nichts.
Da ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte, kniete ich mich mit ihr vor die Toilette und steckte ihr meinen Finger in den Hals. Im ersten Moment dachte ich schon, es würde nichts passieren, sie gab nicht einmal einen Laut von sich, dann jedoch begann sie zu husten und zu würgen und erbrach den Inhalt von drei Röhrchen Tabletten zusammen mit bitterer Gallenflüssigkeit in die Kloschüssel.
Erst nachdem ich sicher war, dass sich nichts mehr in ihrem Magen befand, zog ich sie zurück. Sie war noch immer kaum bei Bewusstsein. Ihre Lider flatterten, die Augäpfel darunter zuckten hektisch von einer Seite zur anderen, doch es gelang ihr nicht, die Augen zu öffnen.
Ich musste sie wach bekommen!
Kurz entschlossen stellte ich mich mit ihr unter die Dusche und drehte den Kaltwasserhahn bis zum Anschlag auf. Nach der Hitze im Zimmer traf mich die eisige Kälte wie tausend spitze Nadeln. Ich zog Jules an mich und redete wie ein Idiot auf sie ein. Dummes Zeug wie »Wag es nicht, zu sterben!« und »Du wirst mich nicht so einfach im Stich lassen!«, von dem ich, wie ich erstaunt feststellte, jedes kitschige, klischeebeladene Wort ernst meinte.
Sie zitterte
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