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Seelenglanz

Seelenglanz

Titel: Seelenglanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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immer heftiger, und ich musste meinen Griff verstärken, damit sie mir nicht entglitt. Eng umschlungen wie zwei Liebende standen wir unter dem eisigen Wasserstrahl, und ich flehte sie an, endlich zu sich zu kommen. Als sie schließlich den Kopf hob und mich ansah, war das der glücklichste Augenblick in meinem endlos langen Leben.
    Nach Luft schnappend versuchte sie sich mir zu entziehen, doch ich gab sie nicht frei. Stattdessen zwang ich sie, weiter unter dem eisigen Strahl auszuharren, bis ich das Gefühl hatte, dass sie tatsächlich wieder einigermaßen bei sich war. Erst dann stellte ich das Wasser ab und hob sie aus der Dusche.
    Sie protestierte nicht, als ich sie aus ihren triefend nassen Klamotten befreite und in ein großes Handtuch wickelte. Irgendwie hatte ich mir die Umstände anders vorgestellt, unter denen ich Jules das erste Mal nackt sehen würde. Jetzt nahm ich mir nicht einmal die Zeit, sie zu betrachten. Meine ganze Aufmerksamkeit gehörte ihrem Herzschlag und ihrer Atmung. Ihre Augen waren geöffnet und ihr Blick ruhte auf mir, verschwommen und irgendwie missmutig. Wie zum Henker konnte sie missmutig sein? Ich hatte ihr gerade das Leben gerettet!
    »Du hast mir einen gehörigen Schrecken eingejagt. Himmel, Jules! Warum hast du das getan?«
    Sie sagte nichts.
    Vorsichtig rieb ich mit dem Handtuch über ihre Arme, den Rücken und die Schultern. Sie versuchte noch immer nicht, sich mir zu entziehen. Stattdessen wirkte sie so teilnahmslos, dass ich mich zu fragen begann, ob es genug war, was ich getan hatte. Als ich meine Finger vor ihre Augen hob, fokussierten ihre Pupillen jedoch sofort, was ich als gutes Zeichen wertete. Während ich sie behutsam abtrocknete, suchte ich fieberhaft nach einem Grund, warum sie sich umbringen wollte. Sosehr ich mir auch den Kopf zerbrach, mir fiel keiner ein. Schließlich warf ich das nasse Handtuch ins Waschbecken, zog ein frisches von der Ablage und wickelte sie darin ein. Wankend machte sie kehrt und wollte aus dem Bad, doch ich hielt sie zurück.
    »Jules, ich brauche eine Antwort.«
    Sie blinzelte mehrmals schnell hintereinander, als versuchte sie sich auf meine Worte zu konzentrieren. Als ich schon glaubte, sie würde wieder nichts sagen, seufzte sie. »Du hast es verdorben«, sagte sie leise. »Du bist zu früh gekommen.«
    »Zu früh? Mir sah das eher nach keinem Augenblick zu spät aus.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Du verstehst nicht.«
    »Da hast du allerdings recht. Ich verstehe nicht, wie du so etwas Dummes tun konntest.« Allmählich wurde ich wütend. Verdammt, wenn ich nur ein paar Minuten länger geschlafen oder erst geduscht hätte, wäre sie jetzt vielleicht tot. Allein der Gedanke reichte schon, um mich in einen Zustand zwischen Wut und Entsetzen zu befördern. Zum ersten Mal wurde mir wirklich bewusst, wie wichtig Jules mir während der letzten Tage geworden war. Diese Frau war mir mehr ans Herz gewachsen als je ein Mensch zuvor. »Jules, was soll das?«
    Sie schloss für einen Moment die Augen, und als sie sie wieder öffnete, lag Bedauern darin. »Es tut mir leid.« Ihre Stimme zitterte. »Ich wollte … Wenn ich … Weil …« Sie holte tief Luft. »Ich bin dir nur im Weg und bringe dich in Gefahr. Ich dachte, wenn ich eine Nephilim wäre und über meine eigenen Kräfte verfügte, dann müsstest du dich nicht länger von der Sorge um mich ablenken lassen und ich könnte dir womöglich sogar helfen.«
    Das war gleichzeitig das Dümmste und Wunderbarste, was ich je gehört hatte. So wunderbar, dass es mir die Kehle zuschnürte, und so unglaublich dumm, dass ich sie am liebsten gepackt und geschüttelt hätte. »Versuch so etwas nie wieder!«
    »Aber so kann ich dir nicht helfen!«
    Ich nahm sie bei den Schultern und sah ihr fest in dieAugen. »Das kannst du als Nephilim auch nicht. Himmel, Jules! Es dauert Wochen, wenn nicht gar Monate oder noch länger, bis sich die Fähigkeiten eines Nephilim entwickeln. Und dann musst du erst lernen, sie zu kontrollieren.«
    Ihr klappte der Kiefer herunter. »Monate? Lernen? Ich dachte …«
    »Du dachtest, du verlässt mal eben dieses Leben und wirst als eine Art Supergirl wiedergeboren. Aber so läuft es nicht. Die Wiedergeburt kann auch schiefgehen. Dass in deinen Adern das Blut eines Engels fließt, bedeutet nicht zwangsläufig, dass dein Körper dieses Erbe auch akzeptiert.«
    Falls das überhaupt möglich war, wurde sie noch bleicher.
    »Ganz zu schweigen davon, dass du dich unmöglich umbringen kannst,

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