Seelenglanz
Vortrag über Dummheit, sonst muss ich dir den Kopf abreißen.«
Akashiel grinste. »Wie wäre es mit einem Vortrag über Selbstlosigkeit?«
»Spar es dir, ich bin nicht deine Zielgruppe.«
33
Ich konnte es immer noch nicht fassen, dass Jules gekommen war, um mich zu retten. Mich! Und nicht nur sie, sondern auch Akashiel. Der Hirte allein wusste, wie sie ihn dazu gebracht hatte, ihr zu helfen.
Der Schmerz war mittlerweile zu einer scheußlichen Erinnerung verblasst, und wenn man in Betracht zog, dass ich vor ein paar Minuten noch im Begriff gewesen war, michlangsam in einen Klumpen Schmorfleisch zu verwandeln, fühlte ich mich erstaunlich gut. Als mein Blick jedoch auf meine Schwingen fiel, die wie lästiger Abfall in der Ecke lagen, die Wurzeln blutig, die Ränder von der Hitze der nahen Lavawand verschmort, fuhr ein scharfer Schmerz durch meine Schulterblätter. Ich hatte nie damit gerechnet, meine Flügel behalten zu können, doch ich hatte immer gedacht, dass es ein Erzengel sein würde, der sie mir nahm.
Als ich Jules’ Hand in meinem Rücken spürte, dort, wo meine Flügel sein sollten, zuckte ich zusammen. Trotz aller Heilkraft war diese Wunde noch zu frisch.
»Geht es dir wirklich gut?«, fragte sie leise.
Ich riss meinen Blick von den Überresten meines einst stolzen Gefieders los und nickte. Es war Jules’ Nähe, die mich auch den letzten Rest Schmerz abschütteln ließ, der sich tief in mir eingenistet hatte. Ich drehte mich zu ihr herum und strich ihr eine schweißnasse Strähne aus dem Gesicht. »Holen wir uns deine Seele zurück.«
Statt der Versuchung nachzugeben, sie an mich zu ziehen und zu küssen, ließ ich mein Eisschwert in der Hand entstehen. Nach all der Lava war die Kälte geradezu himmlisch, die von der Klinge ausging.
»Bleib hinter mir«, sagte ich zu Jules. »Was auch immer passiert, du musst auf das hören, was ich dir sage. Hast du verstanden?«
Sie nickte.
»Gut. Dann lasst uns gehen.«
Ich ging an Akashiel vorbei auf den Gang hinaus. Das Höhlensystem mochte weitverzweigt sein, doch es bestand in erster Linie aus Gängen und verfügte lediglich über eine recht übersichtliche Anzahl von Felskammern. Abgesehen von ein paar Wachen und den Gefallenen, die sich regelmäßig zu Luzifers »Sprechzeiten« hier einfanden, hielt sichnur selten jemand hier unten auf. Das war auch der Grund, warum es uns problemlos gelang, zu Luzifers Archiv zu kommen, der Höhle, in der er die gesammelten Seelen aufbewahrte.
An der Abzweigung, hinter der uns der Zugang erwartete, blieb ich stehen und gab Jules und Akashiel ein Zeichen, leise zu sein. Ohne die Ecke aus den Augen zu lassen, streckte ich meinen Geist nach Akashiel aus.
Vor der Tür stehen zwei Wachen , sagte ich, als er sich mir öffnete.
Schnappen wir sie uns!
Ich schüttelte den Kopf. Wir müssen um jeden Preis verhindern, dass sie Alarm schlagen. Wie seid ihr die vor meiner Kammer losgeworden?
Ich habe mich mit ihnen zu Raphael versetzt.
Dem Gefängniswärter? Clevere Idee. Können wir das noch einmal machen? Dann fiel mir etwas anderes ein. Wie hast du es geschafft, dich unbemerkt zu ihnen zu versetzen. Sie hatten doch garantiert ihre Signaturen nicht offen, oder?
Ich habe mich an die Ecke herangepirscht, bis ich sie sehen konnte. Dann habe ich mich an die Stelle hinter ihnen versetzt und sie mir gegriffen.
Das könnte klappen. Lieber wäre es mir allerdings gewesen, die Wachen zu umgehen. Dummerweise war das nicht möglich. Luzifer schützte seine Schätze. Ich war zwar bereits in seinem Heiligtum gewesen, das änderte jedoch nichts daran, dass ich mich nicht einfach hineinversetzen konnte – dafür sorgte das Eisenportal. Wir konnten auch nicht einfach durch die Felswände marschieren, denn dann hätten wir Jules zurücklassen müssen. Tatsächlich spielte ich mit dem Gedanken, sie hier rauszuschaffen und dann zusammen mit Akashiel den Weg durch die Wand zu nehmen. Doch abgesehen davon, dass sie sich weigern würde zu gehen, wagte iches nicht, sie allein zu lassen. Wenn Luzifer herausfand, dass ich fort war, würde er sich als Erstes Jules holen. Nein. Wir mussten an den Wachen vorbei, durch das Portal. Alle drei.
Wir machen es genauso wie du vorhin , sagte ich zu Akashiel. Wir nehmen sie ins Visier, versetzen uns hinter sie und schaffen sie zu Raphael.
Akashiel war neben mich getreten. In Ordnung. Findest du den Weg?
Ich mochte einiges auf dem Kerbholz haben, doch Raphaels Gefängnis war mir bisher erspart
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