Seelenglanz
lag am Ende eines Ganges. Auf dem Weg von dort waren sie zwar an einer Abzweigung vorbeigekommen, sonst hatte sie jedoch keine weiteren Kammern oder Durchgänge gesehen. Mit ein wenig Glück würden zu dieser späten Stunde keine Gefallenen hier entlangkommen. Allerdings gehörte Glück nicht gerade zu den Dingen, die sie in der letzten Zeit im Übermaß gehabt hatte.
Die Zeit zog sich endlos dahin. Immer wieder schloss Jules die Augen, um sich besser auf die Geräusche in ihrer Umgebung konzentrieren zu können. Und jedes Mal öffnete sie die Lider schnell wieder aus Angst, die Gefallenen könnten bereits vor ihr stehen, ohne dass sie es bemerkte. Niemand kam, und bis auf die gedämpfte Unterhaltung der beiden Wachen, die einen Moment lang etwas aufgeregter klang, war auch niemand zu hören.
Wo blieb Akashiel? Verflucht, er hatte ihr versprochen sich zu beeilen, doch mittlerweile war er eine gefühlte Ewigkeit fort! Angespannt harrte sie in ihrem Versteck aus und versuchte nicht daran zu denken, was aus ihr werden würde, wenn er nicht zurückkehrte. Was, wenn sie ihn geschnappt hatte? Wie sollte sie Kyriel allein befreien und jemals wieder von hier fortkommen?
Mit einem Mal hatte sie das Gefühl, dass sich etwas verändert hatte. Es dauerte einen Moment, bis sie den Ursprung dieses Empfindens ausmachen konnte. Es war still geworden.
Vollkommen still.
Die Unterhaltung der beiden Wachen war verstummt. Bedeutete das, dass sie ihren Posten verlassen hatten? Oder waren sie in die Kammer gegangen, um Kyriel zu quälen? Sie machte sich darauf gefasst, dass jeden Moment Schmerzensschreie die Luft erfüllten. Stattdessen kehrte Akashiel zurück. Er tauchte so plötzlich vor ihr auf, dass sie die Hände vor den Mund schlagen musste, um einen Aufschrei zu unterdrücken.
Der Schutzengel grinste. »Die Wachen sind fort.«
Deshalb die Stille. Erleichtert, dass sich ihre Sorge, sie könnten Kyriel heimsuchen, als unbegründet herausgestellt hatte, stieß sie die Luft aus. »Wie hast du das geschafft?«
Sein Grinsen wurde breiter. Ein wenig erinnerte es sie an Kyriels Selbstgefälligkeit, wenn er von seinem eigenen Handeln überzeugt war. »Nachdem ich meine Leute vorgewarnt hatte, habe ich mich zu den beiden versetzt, sie gepackt und von hier weggeschafft.«
»Wohin?«
»Wir haben eine Art Gefängnis, in das wir hin und wieder Gefallene einsperren, die uns in die Quere kommen«, erklärte er. »Die Wände sind aus Metall, sodass niemand einfach entkommen kann. Dort sitzen die beiden jetzt und setzen ihre Wache fort.«
Es musste ein ziemlicher Schock für die Gefallenen gewesen sein, dass plötzlich ein Schutzengel in ihrem Allerheiligsten auftauchte und sie auch noch von dort entführte. Jules konnte nicht anders, bei der Vorstellung musste sie ebenfalls grinsen.
»Du wartest hier«, sagte Akashiel.
»Was denn, schon wieder?«
»Ich will mich nur kurz davon überzeugen, dass die Gänge sauber sind.«
Dieses Mal versetzte er sich nicht, sondern machte einfachkehrt und ging den Gang hinunter. Er hatte die Nische noch keine drei Schritte hinter sich gelassen, als sich erneut das Flammenschwert in seiner Hand materialisierte.
Zum Glück wurde ihre Geduld nicht lange auf die Probe gestellt. Ein leises »Pst« brachte sie dazu, einen Blick aus der Nische heraus zu riskieren. Akashiel stand an der Ecke und winkte sie zu sich.
Kurz darauf erreichten sie die Kammer, in der Kyriel gefangen gehalten wurde.
Vor dem offenen Durchgang zögerte Jules. Plötzlich hatte sie Angst vor dem, was sie drinnen erwarten mochte. Was, wenn sie ihn fortgebracht hatten oder – schlimmer noch – er gar nicht mehr am Leben war.
Sei keine Närrin! , schalt sie sich selbst. Warum sollten Wachen vor einer leeren Kammer stehen?
Der Anblick, der sie im Inneren erwartete, war schlimmer als alles, was sie sich hätte vorstellen können. Kyriel hing reglos in den Ketten, sein Gesicht und seine Haut waren von einem Gemisch aus Schweiß und Ruß überzogen, und sein T-Shirt war größtenteils zu Asche verbrannt. Jules wartete darauf, dass er den Kopf hob, doch selbst als sie näher kamen, rührte er sich nicht. Als sie seine Schultern sah, die Haut schwarz, blutig und voller Blasen, schnappte sie nach Luft.
Sie kämpfte darum, nicht die Fassung zu verlieren. Er wird heilen , sagte sie sich immer wieder. Wir müssen ihn nur hier rausbringen, dann wird alles wieder gut.
Beim Anblick seiner Flügel, die noch immer vor der Wand auf dem Boden lagen,
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