Seelenglanz
Chance als Schutzengel zu geben. Danke, da lebte ich doch lieber weiterhin mit meinem lädierten Ruf.
Als wir mit den heißen Getränken ins Wohnzimmer zurückkehrten, hatten es sich die Frauen auf der Couch bequem gemacht und waren in eine Unterhaltung vertieft. Die Erschöpfung und die wächserne Blässe waren aus Jules’ Zügen gewichen, und zum ersten Mal wirkte sie wirklich lebendig und nicht, als hinge von ihrem Tun das Wohl der gesamten Menschheit ab. Ihre Augen sprühten Funken, ihre Wangen waren leicht gerötet, und sie unterstrich ihre Worte mit kleinen Gesten, die ihr wahres Temperament erahnen ließen.
Akashiel schob Rachel ihre Kakaotasse hin und stellte die anderen Tassen auf dem Couchtisch ab, damit ich Kaffee einschenken konnte. Ich hätte Jules abliefern und sofort wieder verschwinden sollen, statt hier den Hausmann zu mimen! Warum war ich überhaupt noch hier?
Ein Blick in Jules’ erhitztes Gesicht und die Lebendigkeit in ihren Augen, hinter der noch immer die Verwirrung lauerte, gaben mir die Antwort: Aus irgendeinem dämlichen, unerfindlichen Grund fühlte ich mich für sie verantwortlich.
Und aus einem noch dämlicheren und noch unerfindlicheren Grund schien die ganze Nephilim-Sache ihre Lebensgeister mehr und mehr zu wecken. Als hätte sie sich bis zum heutigen Tag in einer Art Starre befunden, nur darauf wartend, dass endlich etwas geschah, was ihren grauen Alltag durchbrach. Wenn ich daran zurückdachte, wie ihre Mutter sturzbesoffen im Bett gelegen hatte, dann lag ich vielleicht gar nicht so verkehrt. Das hier war Jules’ Möglichkeit, aus allem auszubrechen. Andererseits schien sie mir nicht der Typ, der einfach alles hinter sich lassen und ein neues Leben beginnen würde. Sie fühlte sich für ihre Mutter verantwortlich. Spätestens morgen früh, wenn sich ihre Aufregung ein wenig gelegt und sie Zeit gehabt hatte, überalles nachzudenken, würde sie in ihr kleines, enges Leben mit all der erdrückenden Verantwortung zurückkehren. Aus purem Pflichtgefühl.
Als ich Jules Kaffee einschenkte, deutete Rachel mit dem Finger auf den Zuckerstreuer. Zuckend ruckte er über die Tischplatte, ehe er sich zögernd in die Luft erhob und in ihre Hand schwebte.
Jules sog zischend den Atem ein.
Großartig, sie hatte mich fliegen sehen, hatte erlebt, wie wir uns von einem Ort an den anderen versetzten, aber ein schwebender Zuckerstreuer erfüllte sie mit Ehrfurcht!
Rachel fischte den Zuckerstreuer aus der Luft und stellte ihn auf den Tisch zurück. »Gut, dass ich geübt habe«, sagte sie grinsend zu Akashiel. »Jules würde mich glatt für eine Hochstaplerin halten, wenn ich ihr erzähle, was ich alles kann, ohne es wirklich zeigen zu können.«
»Dann bist du also wie ich?« Jules saß auf der Kante der Couch und betrachtete noch immer den Zuckerstreuer, der sich längst nicht mehr rührte.
Rachel nickte.
»Aber du bist gestorben und … und …«
»Wiedergeboren worden. Als Nephilim. Ja.«
»Wie war es, zu sterben?«
Ein Schatten legte sich über Rachels Gesicht. Akashiel packte mich am Arm und zog mich schon wieder fort. »Lass sie allein reden«, sagte sein Blick. Wir gingen zum Esstisch und ließen uns dort nieder, weit genug weg, um den beiden das Gefühl des Ungestörtseins zu geben, aber nicht zu weit, sodass ich ihre Worte noch hören konnte.
»Es war verwirrend«, beantwortete Rachel schließlich Jules’ Frage. »Ich hatte ja keine Ahnung, was mit mir passierte. Es war ein Autounfall, und zuerst dachte ich, ich sei nur verletzt. Die Wahrheit herauszufinden hat eine Weile gedauert.Dass ich an der Stelle und in dem Zustand wiedergeboren wurde, in dem ich das Leben verlassen hatte, war nach dem Unfall und den schweren Verletzungen jedenfalls nicht sonderlich lustig.«
»Wenn man also unter anderen Umständen stirbt, wäre eine Rückkehr weniger … unangenehm?«
»Vermutlich.« Rachel nippte an ihrem Kakao. »So wie ich das verstehe, musst du alle Verletzungen, die du zum Zeitpunkt deines Todes hattest, nach deiner Wiedergeburt auskurieren. Die Heilung geht zwar schneller, aber das macht es keineswegs angenehmer.«
»Dann bleibe ich wohl lieber noch eine Weile Mensch.«
Vermutlich nicht die schlechteste Entscheidung.
Die beiden saßen sich nun schweigend gegenüber. Jules war anzusehen, wie es in ihr arbeitete, wie sie nach Fragen suchte, auf die sie noch Antworten brauchte, doch ihre Füllhöhe schien erreicht zu sein. Das erkannte auch Rachel.
Sie griff nach ihrer
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