Seelenglanz
weitermachen?«
»Bis zum Abschluss?«
Sie nickte. »Ich will später studieren und irgendwann einen guten Job finden, der uns aus diesem Loch herausbringt.« Sie kniff die Augen zusammen. »Was wird aus meiner Mutter, wenn ich für euch arbeite? Bekomme ich überhaupt Gehalt? Akashiel hat gesagt, dass ich dafür bezahlt werde, oder?«
»Und er hat auch gesagt, dass du dann gar keinen Schulabschluss mehr brauchst. Du hast bei uns einen Job auf Lebenszeit.«
»Bedeutet das, dass ich ihn nicht mehr loswerde, auch wenn ich das möchte? Was, wenn es mir nicht gefällt?«
»Wenn du Glück hast, teilen sie dir eine andere Aufgabe zu. Wenn du Pech hast, bleibst du dort hängen.« So wie ich.
»Ist das nicht auch eine Art, seine Seele zu verkaufen?«
Treffender hätte ich es kaum ausdrücken können, denn genauso fühlte ich mich, auch wenn ich wusste, dass es für mich nur ein Job auf Zeit war.
»In gewisser Weise ist es das vielleicht«, rutschte es mir heraus. Schnell korrigierte ich mich: »Im Gegensatz dazu, deine Seele wirklich zu verkaufen, bleibst du aber ein selbstbestimmtes Wesen. Du hast deine Freizeit, in der du tun und lassen kannst, was du willst. Du kannst dich weiterhin mit deinen Freunden treffen.« Ihr Schnauben sagte mir, dass es davon wohl nicht viele gab – nun ja, sie hätte dann immerhin genügend Zeit, neue zu finden. »Du kannst deinen Hobbys nachgehen, bekommst Urlaub und kannst ein normales Leben führen. Nur dein Job ist festgeschrieben.Damit ist aber auch für dein Leben gesorgt – Miete, Essen, alles wird geregelt.«
Jules hatte sich ganz zu mir herumgedreht. Sie lehnte mit dem Rücken an der Kommode und kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe. »Und was passiert, wenn ich meine Seele verliere?«
»Es ist, als würdest du dein Leben verlieren, nur schlimmer«, sagte ich wahrheitsgemäß. »Dein Körper und dein Verstand existieren weiter, aber dein Körper ist ein Gefängnis, das künftig fremdbestimmt ist. Wenn der Morgenstern beschließt, von deiner Seele Gebrauch zu machen«, und das würde er früher oder später tun, denn eine Nephilim war selbst für ihn ein wertvolles Werkzeug, »wird er deinen Körper und deinen Willen lenken. Er bestimmt, was du sagst und tust. Du bist nur noch Zuschauer in deinem eigenen Körper.«
Jules verzog das Gesicht. »Das bin ich jetzt schon«, murmelte sie.
Mir entging ihre Bitterkeit nicht, eigentlich wollte ich nicht weiter darauf eingehen, trotzdem hörte ich mich sagen: »Glaub mir, alles, was du jetzt empfindest, ist nichts gegen das, was dich erwartet, wenn du tatsächlich deine Seele verpfändest.«
»Aber ich würde meine Seele doch erst nach meinem Tod verlieren. Das hat er gesagt.«
»Du wirst wiedergeboren als unsterbliche Nephilim.«
»Scheiße.«
»In dem Fall ganz bestimmt.« Als sie den Pakt eingehen wollte, hatte sie nicht gewusst, was sie war und was es für sie bedeuten würde. Jetzt war sie ein Stück schlauer. »Außerdem bedeutet die Formulierung nach deinem Tod nicht, dass du dein Leben in Ruhe zu Ende leben kannst. Sie bestimmen, wann du stirbst. Das kann heute sein oder erstin fünfzig Jahren, das hängt ganz davon ab, wann sie dich brauchen.« Und die Seele einer Nephilim würden sie ganz sicher eher gestern als morgen einsammeln. Wenn der Morgenstern eine Seele wollte, gab es viele Wege, ein verfrühtes Ende herbeizuführen. Eines, das bei den Mitmenschen keinen Verdacht erregte, sie nicht einmal vom Tod des geliebten Menschen erfahren ließ, und Luzifer dennoch gab, was er wollte. Tatsächlich lebten unzählige dieser fremdgesteuerten Seelen unter den Menschen, ohne dass jemand ahnte, dass die Person, die sich im Körper des Freundes, des Vaters, der Schwester oder Mutter befand, schon lange nicht mehr sie selbst war. Sie erfüllten für uns Aufgaben, für die keine besonderen Fähigkeiten nötig waren. Auf eine Art waren sie für uns Gefallene das, was die Nephilim für die Schutzengel waren: Assistenten.
Ich griff in meine Jeanstasche, die leer war, und konzentrierte mich kurz. Als ich die Hand wieder herauszog, hielt ich ein Bündel Scheine darin und warf es neben Jules auf die Kommode. »Das dürfte eine Weile für Miete und Schule reichen.«
»Was? Aber …« Sie wirkte nicht erleichtert oder erfreut, sondern eher wütend.
»Das ist kein Almosen!«, kam ich ihr zuvor, als mir der Grund ihres Ärgers klar wurde. »Betrachte es als Schmerzensgeld für das, was geschehen ist. Du kannst es behalten, ganz gleich
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