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SEELENGOLD - Die Chroniken der Akkadier (Gesamtausgabe)

SEELENGOLD - Die Chroniken der Akkadier (Gesamtausgabe)

Titel: SEELENGOLD - Die Chroniken der Akkadier (Gesamtausgabe) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jordan Bay
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Mathews Church . Die Architektur der Krypta war erhalten, sodass die Decken tief hingen und einen sakralen Bogen besaßen. Es harmonierte mit dem marokkanischen Stil der Einrichtung. Dunkles Holz füllte den Raum zwischen den beige gestrichenen Mauern, wechselte sich mit blutroten und goldenen Vorhängen ab. Ornamente und unzählige kleine Lichter vervollständigten die orientalische Atmosphäre. Kein Wunder, dass Julia diesen Club mochte.
    Selene konzentrierte sich auf die Details, versuchte alles in sich aufzunehmen. Hauptsache, sie verdrängte das Unweigerliche. Dazu wäre ihr jegliche Ablenkung recht. Zum Beispiel ein riesiger Kerl, der den Club soeben betrat und im Eingangsbereich stehenblieb. Selene saß in einer Nische links neben der Tür und konnte ihn nur von hinten sehen. Doch das Wort gewaltig hätte nicht annähernd genügt, um seine Statur zu beschreiben. Ein blonder Kurzhaarschnitt kontrastierte zum schwarzen Ledermantel. Und obwohl seine Ausstrahlung selbst von hinten aggressiv wirkte, wollte Selene nichts mehr, als das Gesicht zu diesem Körper begutachten.
    Der Fremde drehte sich um, als hätte er ihre Gedanken gehört. Ihre Blicke begegneten sich. Selene hielt die Luft an. Wie können Augen so blau sein? Als würde die Tiefe des Meeres von ihr Besitz ergreifen und sie mit sich ziehen. Alles andere verschwand aus ihrer Wahrnehmung. Die Zeit stand still und der Moment dehnte sich zu einer atemlosen Ewigkeit. Diese Augen durchbohrten sie, durchleuchteten sie geradezu, ohne dass Selene etwas dagegen hätte ausrichten können.
    Plötzlich und ohne Vorwarnung löste er sich von ihr und steuerte nach kurzer Überlegung auf die gegenüberliegende Bar. Er bestellte ein Getränk und ließ sich auf einem der viel zu kleinen Barhocker nieder, an einer Stelle, die es Selene unmöglich machte, seiner Beobachtung zu entkommen. Selbst der goldene Vorhang in der Mitte des Raumes gewährte ihr keine Privatsphäre. Die Augen des Fremden durchdrangen ihn mit Leichtigkeit. Selenes Wangen wurden heiß. Sie wollte hier nicht sitzen bleiben und sich weiter anstarren lassen, rutschte unruhig auf der Ledercouch hin und her, aber keine Chance. Selene müsste an einen anderen Tisch wechseln und das hielt selbst sie für übertrieben.
    Also blieb sie sitzen und wartete, mittlerweile sehnsüchtig, auf Julia. Um sich die Zeit zu verkürzen, kippte sie den Martini in einem Zug hinunter, bestrebt, dabei gelangweilt zu wirken. Als ob so ein atemberaubend attraktiver Muskelprotz sie aus der Fassung bringen könnte.
    Nach nur wenigen Sekunden, in denen sie versuchte, neue Details in der Einrichtung zu entdecken, huschte ihr Blick wieder in Richtung des Fremden. Seine bloße Anwesenheit schien die Räumlichkeiten gänzlich einzunehmen. Er leerte sein Glas und erwiderte ihren Blick plötzlich mit grimmiger Miene. Seine Kiefer spannten sich an und die Augenbrauen schienen immer tiefer zu sinken. Er erinnerte sie an irgendetwas, irgendjemanden. Nur wen?
    Als Selene bewusst wurde, dass ihr Mund offen stand und sie sich unwillkürlich vorgelehnt hatte, fing ihr Puls schlagartig an zu rasen, ermahnte sie, dass man Fremde nicht einfach so beobachtete. Schon gar nicht, wenn sie dermaßen gefährlich wirkten. Und trotzdem fand sie nicht die Kraft wegzusehen. Als würden seine Augen von ihr Besitz ergreifen. In Selenes Brust hämmerte ihr Herz, wollte ihr etwas sagen, etwas offenbaren, zeigte ihr eine Richtung, wies ihr einen Weg. Würde er zu ihr kommen? Sie kennenlernen wollen?
    Er drehte sich weg.
    Was für ein lächerlicher Gedanke. Doch in ihrem Inneren dehnte sich eine Leere aus. Selene kannte das zu gut. Hatte es in den letzten Stunden mit Banalitäten zu füllen gewusst. Doch sie war zurück. Kalt. Und schmerzte. Sie musste hier raus! Julia würde ohne sie auskommen.
    Selene erhob sich, zog ihre braune Lederjacke über und schnappte sich die Handtasche. Vielleicht hätte sie den Martini nicht in einem Zug trinken sollen. Ihre Knie zitterten und die Schwärze in ihr bahnte sich einen Weg nach außen, rahmte ihre Sicht ein. Sie schob sich mühsam um den kleinen Tisch herum, bemüht, nicht zu stolpern, und war fürchterlich erleichtert, als sie endlich durch die Tür nach draußen gelangte. Selene atmete die kühle Herbstluft ein, doch der Nebel in ihrem Kopf blieb.
    Sie schlenderte an der alten Kirche vorbei und lief die Brixton Road zur nächsten U-Bahnstation hinab. Gott sei Dank waren die Straßen in einer Sonntagnacht so gut wie leer.

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