Seelengrab (German Edition)
Ihre Kollegen im Polizeipräsidium haben bereits eine Fahndung aufgegeben.“
„Gut.“
Dann war es nur eine Frage der Zeit, bis der Audi 100 irgendwo auftauchte.
„Ich brauche noch Susannes Adresse.“
„Sicher. Dorotheenstraße 97.“
Hirschfeld notierte sich die Anschrift.
„Wann können wir sie mitnehmen?“, wollte Bach wissen, als der Fahrstuhl sich in Bewegung setzte.
„Die Obduktion ist abgeschlossen“, antwortete Hirschfeld. „Ich gehe davon aus, dass Susannes Leichnam in der kommenden Woche freigegeben werden kann.“
Sie hatten das Erdgeschoss erreicht und verließen den Aufzug. Als sie aus dem Hauptgebäude traten, wartete Frau Bach bereits im Streifenwagen. Es war inzwischen dunkel geworden. Ihre zusammengesunkene Silhouette auf dem Rücksitz zeichnete sich scharf gegen das einfallende Licht der Straßenlaterne ab, die den Parkplatz vor dem Institut erhellte.
„Kinder sollten niemals vor ihren Eltern gehen“, murmelte Bach und verabschiedete sich mit einem müden Nicken, bevor er zu seiner Frau in den Wagen stieg.
„Dieser Tag hat ihr Leben mit einem Schlag verändert, sie werden nie wieder dieselben Menschen sein“, meinte Hirschfeld nachdenklich zu Kirchhoff, der mit den Händen in den Taschen neben dem Eingang auf ihn wartete und dem Streifenwagen nachschaute.
Statt eines Kommentars sah Kirchhoff ihn mit seinem melancholischen Blick an und strich seine Haare aus dem Gesicht, als wollte er einen unangenehmen Gedanken wegwischen.
„Was hast du über die Kette erfahren?“, fragte er.
Hirschfeld setzte seinen Partner kurz ins Bild.
„Höchst interessant“, erwiderte Kirchhoff, als Hirschfeld geendet hatte. „Damit eröffnen sich gleich mehrere Möglichkeiten. Nummer eins: Die Kette gehörte tatsächlich dem Opfer. Nummer zwei: Die Kette gehört …“
„… Susannes Mörder“, vollendete Hirschfeld den Satz. „Wir müssen so schnell wie möglich in Erfahrung bringen, was es mit dem Schmuck auf sich hat.“
„Das klingt nach einem Plan“, meinte Kirchhoff.
„Ja, in der Tat.“
„Gut, wo fangen wir an?“
„Ich formuliere die Frage mal so: Wann hast du zum letzten Mal eine WG von innen gesehen?“
22
Die Stelle am Hinterkopf tut gar nicht mehr weh. Juckt nur noch eklig. Fahre mit dem Finger drüber. Fühle. Die Haut zwischen den Haaren ist ganz rau. Kratze über die Kruste und zerreibe das getrocknete Blut zwischen den Fingern. Es zerfällt und segelt ganz langsam auf den Boden. Wie in Zeitlupe. Die Farbe sieht aus wie Rost. Taste zurück an das Loch in meinem Kopf. Kann mich an den Schlag nicht mehr erinnern. Alles weg. Nichts. Besser so. Die anderen sagen, hab geschrien wie am Spieß. Und geheult. Wie immer. Die Tage danach hat es immer gepocht und geklopft hinter meinen Augen. Und mir war übel. Musste mich bestimmt zwanzigmal übergeben. Das war nicht schön. Erst das heiße Brennen in meinem Bauch. Dann klopfte mein Herz ganz wild und alles zog sich innen zusammen, bis zum Hals. Wie ein Krampf. Und dann kam alles raus. Manchmal wie Wasser. Danach schmeckte es immer bitter im Mund. Mag gar nicht dran denken. Wird mir gleich wieder schlecht.
Merke, dass meine Finger immer noch in Bewegung sind. Hier und da, auf und ab. Wie ein Maulwurf wühlen sie sich tiefer und greifen ein Büschel. Zwirbel die Haare mit Daumen und Zeigefinger auseinander. Bekomm eins zu fassen und reiße dran. Ein Ruck und es ist raus. Gucke mir das Ende an. Muss die Augen zusammenkneifen, um den weißen runden Punkt zu erkennen. Nehme das Haar in den Mund, bewege es mit der Zunge hin und her und beiße auf das Stück. Es knackt schön. Schlucke alles runter. Dann such ich mir ein neues Haar.
23
„Nette Gegend“, meinte Hirschfeld, als sie vor einem gepflegten Altbau aus der Gründerzeit stehen geblieben waren, der schwach erleuchtet war.
In diesem Moment splitterte irgendwo in der Nähe Glas. Auf das hysterische Kreischen einer Frau, in das sich eine wütende Männerstimme mischte, folgte der krachende Aufprall eines Gegenstandes in der Größe eines Fernsehers.
„Wie man’s nimmt“, gab Kirchhoff zurück und schenkte ihm ein zurückhaltendes Lächeln.
Hirschfeld grinste, dann stieg er die drei Stufen zum Hauseingang hoch und suchte mit dem Finger nach der richtigen Klingel. Er hatte bei der spärlichen Beleuchtung einige Mühe, Susannes Wohngemeinschaft ausfindig zu machen. Schließlich entdeckte er ihren in großen Lettern gedruckten Namen zwischen ein paar handgeschriebenen
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