Seelengrab (German Edition)
bin dann für ein paar Tage abgetaucht und erst seit Freitag wieder hier“, fuhr der Student fort.
Seit zwei Tagen also.
„Haben Sie dieses Amulett schon einmal gesehen?“, wollte Hirschfeld wissen, holte den Beweismittelbeutel mit dem Schmuck aus der Manteltasche und hielt ihn Müller vors Gesicht.
Müller kniff die Augen zusammen und schaute sich den Anhänger genauer an.
„Ecce homo“, las er laut vor.
Siehe da, der Mensch. Die Inschrift, die den Jesuskopf einrahmte, war Hirschfeld auch aufgefallen. Dunkel erinnerte der Kriminalhauptkommissar sich daran, dass Pilatus mit diesen Worten den geschundenen Jesus im Purpurmantel und mit Spottzepter in der Hand dem jüdischen Volk vorführte. Statt der vorgesehenen Begnadigung wurde jedoch auf lautstarken Wunsch der Menge die Vollstreckung des Todesurteils beschlossen.
Hirschfeld hatte sich bereits die Frage gestellt, ob die Bedeutung des Amuletts einen Hinweis auf Susannes Mörder gab.
„Darf ich?“, fragte der Student, nahm den Beutel entgegen und drehte das Medaillon in der Plastikfolie zwischen den Fingern hin und her.
„Das habe ich noch nie zuvor gesehen“, bestätigte Müller das, was Susannes Vater vorhin ausgesagt hatte.
„Hält sich Ihre Freundin aktuell in der Wohnung auf?“, erkundigte sich Kirchhoff.
„Ja, sie schläft allerdings gerade“, antwortete Müller und reichte Hirschfeld den Plastikbeutel zurück.
Schlafen rangierte offenbar auf der Beliebtheitsskala an Freizeitbeschäftigungen in der WG ganz weit vorne.
„Würden Sie Christine bitte wecken? Wir müssen auch mit ihr sprechen.“
Leif Müller nickte, stand vom Sofa auf, drückte sich an Kirchhoff vorbei und verließ die Küche. Den tragbaren CD-Player hatte er zurückgelassen. Kirchhoff verließ widerwillig seinen Beobachtungsposten, griff danach und drückte die Stopp-Taste. Dann warf er das Gerät zurück auf die Couch.
„Wurde auch Zeit“, murmelte er.
24
Ich mag dich nicht. Du bist so glitschig und schmutzig. Deine Haut ist eklig. Rosa und braun. Und wenn du dich bewegst, läuft es mir kalt den Rücken runter. Wie du dich windest, in jede Richtung. Weiß gar nicht, wo vorne und hinten ist. Sieht alles gleich aus. Nur an einer Stelle bist du dicker. Als hättest du einen Rollkragenpulli an. Hab dich aus der Erde gezogen. Du hast gezappelt, als ich dich hochgehalten hab. Und dann hab ich dich ins Gras geworfen. Jetzt hock ich vor dir und beobachte dich. Wenn ich durch das dicke Glas gucke, dann bist du riesig. Wie eine Schlange. Mit Falten und Borsten. Aber zum Glück bist du klein. Kannst mir nichts tun. Tippe dich mit der Fingerspitze an. Drehe dich zur Seite. Du ziehst dich zusammen und streckst dich wieder. Gib dir keine Mühe, du kannst nichts dagegen machen. Auch nicht, wenn ich dich mit Daumen- und Zeigefinger wegschnippe.
Schaue nach oben. Die Sonne scheint mir ins Gesicht. Es ist warm. Und ich bin ganz allein. Rutsche auf den Knien zu dir rüber. Du versuchst, dich wieder in den Boden zu graben. Aber ich lass dich nicht. Als ich auf das Glas neben mir schaue, sehe ich, wie die Sonnenstrahlen das Gras verbrennen. Erst hat es nur angefangen zu rauchen, jetzt sind die Halme ganz verkokelt. Halte die Lupe über dich. Du zuckst und zuckst. Als dein Bauch ganz schwarz wird, kugel ich mich vor Lachen.
25
„Möchten Sie vielleicht einen Kaffee?“
Damit steckte Florian Richter den Kopf durch die Tür. Der Lockenkopf hatte doch noch ein paar Manieren, dachte Hirschfeld und nahm dankend an. Kirchhoff lehnte ab, deutete mit dem Kinn Richtung Herd und meinte:
„Ich glaube, Ihnen verbrennt da irgendetwas.“
Florian Richter trat an den Gasherd, schaltete die Flamme aus und zog den Emailletopf von der Kochstelle. Er machte sich erst gar nicht die Mühe, den Inhalt zu begutachten, sondern warf den kompletten Topf ohne Zögern in den Mülleimer.
„Wo haben Sie die Dame gelassen, die Ihnen Gesellschaft geleistet hat?“, erkundigte Hirschfeld sich und sah Richter dabei zu, wie er zu einem alten Buffetschrank ging und dem oberen Fach zwei Kaffeebecher entnahm.
In diesem Moment schlug die Wohnungstür.
„Na, wunderbar“, stöhnte Kirchhoff, der sich wieder in den Türrahmen zurückgezogen hatte. „Eine Zeugin weniger.“
Richter schaute verlegen zu Boden, dann sagte er:
„’tschuldigung, hab nicht drüber nachgedacht. Sie wollte keine Scherereien.“
„Wie ist ihr Name?“
„Britta, aber ich kenne nur ihren Vornamen.“
Na, prima.
„Ich hab das
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