Seelengrab (German Edition)
außen vor.
„Ich hätte nicht gedacht, dass es so schlimm um ihn steht“, entgegnete seine Schwester betroffen, als Lutz seinen Bericht beendet hatte. „Gut, dass Mama ihn nicht mehr so erlebt hat.“
Johanna hatte Recht: Das war das einzig Tröstliche an der Situation.
„Weißt du was? Das nächste Semester beginnt erst im April. In den USA bleiben mir noch ein paar Tage. Bevor ich nach Berlin zurückkehre, mache ich einen Stopp in Bonn und besuche euch beide.“
Hirschfeld war nicht sicher, ob das eine gute Idee war. Jo war zwar inzwischen erwachsen, hatte jedoch immer wieder launische Phasen, die ihre Umwelt deutlich zu spüren bekam. Andererseits konnte es nicht schaden, wenn Jo ihren Vater für eine Weile auf andere Gedanken brachte. Auf Lutz war er momentan zumindest nicht besonders gut zu sprechen.
„Wann kommst du?“
Hirschfeld war in die Küche zurückgekehrt, drückte seine Zigarette im Spülbecken aus und entsorgte die Asche aus der Schachtel.
„Weiß noch nicht, ich sag dir aber noch Bescheid“, antwortete Jo. Im Hintergrund machten sich mehrere Stimmen bemerkbar. „Ich muss Schluss machen, Großer. Wir hören uns die Tage noch mal, ja?“
„Okay, pass auf dich auf, Jo!“
Sie beendeten das Gespräch. Als das Handy in der nächsten Sekunde erneut klingelte, nahm Hirschfeld das Gespräch auf dem Weg zum Wohnzimmer an. Diesmal achtete er nicht auf die übermittelte Telefonnummer.
„Was gibt es noch, Kleine?“
„Ich bin’s, Peter.“
Kirchhoff.
„Oh, entschuldige, ich hatte jemand anderes erwartet.“
„Es gibt Neuigkeiten“, antwortete Kirchhoff nur.
Hirschfeld horchte auf.
„Die Leitstelle hat gerade eine Vermisstenmeldung reinbekommen“, fuhr Kirchhoff fort. „Der Beschreibung nach könnte es sich um unsere unbekannte Tote handeln. Die Eltern sind bereits auf dem Weg in die Rechtsmedizin.“
„Ich bin schon unterwegs“, entgegnete Hirschfeld, legte auf und griff nach seinem Mantel, während er anwählte.
Noch bevor die Taxizentrale in der Leitung war, hatte er das Haus verlassen.
21
Peter Kirchhoff erwartete Hirschfeld bereits im Besucherraum des Instituts für Rechtsmedizin, an dem seit der Gründung nicht viel verändert worden zu sein schien. Das Zimmer war winzig und mit einem türkisfarbenen 70er-Jahre-Linoleumboden ausgelegt. An einem runden Holztisch in der Mitte, um den sich vier hellrot gepolsterte Stühle gruppierten, saßen eine Frau und ein Mann mittleren Alters, die gequält aufblickten, als der Kriminalhauptkommissar ihnen nacheinander die Hand gab.
„Mein Name ist Lutz Hirschfeld“, sagte er und nahm ihnen gegenüber Platz.
„Bach“, übernahm der Mann die Vorstellung, während seine Frau stumm blieb und ein Kupferrelief von Albrecht Dürers Betenden Händen, das an der Wand hing, anstarrte.
Obwohl der Heizkörper unter dem schmalen Fenster den Raum in eine Sauna verwandelte, hatte Herr Bach ebenso wie seine Frau die Winterjacke anbehalten. Hirschfeld konnte nachvollziehen, weshalb das Ehepaar diesen Ort so schnell wie möglich wieder verlassen wollte.
„Wären Sie so freundlich und würden uns kurz schildern, wie es zu Ihrer Vermisstenanzeige gekommen ist?“, begann Hirschfeld mit der Befragung, während er die grauen Gesichter vor ihm studierte.
Frau Bach war hübsch. Sie hatte rehbraune, leicht auseinanderstehende Augen und eine sportliche Figur. Hirschfeld stellte sich vor, dass sie vielleicht Fitnesskurse gab oder als Krankengymnastin arbeitete. Ihre blonden Haare hatte sie zu einem lockeren Pferdeschwanz zusammengebunden. An ihren dunkelbraunen Ansätzen und Augenbrauen war jedoch zu erkennen, dass sie keine natürliche Blondine war. Ihren Mann schätzte Hirschfeld auf ein ähnliches Alter. Er war über 1,90 Meter groß und von kräftiger Statur. Er hatte dichtes, gelocktes, schwarzes Haar, das ihm bis zu den Ohren ging. Seine Hände waren riesig und lagen plump auf dem Tisch.
„Nun“, erwiderte Bach mit gebrochener Stimme, „Susanne studiert Germanistik und Amerikanistik an der Uni hier. Sie ist im neunten Semester und bereitet gerade ihre Magisterarbeit vor. Über die Karnevalstage wollte sie in die Eifel fahren, um ein wenig Ruhe vor dem ganzen Trubel zu haben.“
Bach war sichtlich darum bemüht, die Gegenwartsform zu benutzen. Hirschfeld ließ ihn reden, während Kirchhoff gegen den Türrahmen lehnte und sich Notizen machte.
„Bis gestern haben wir uns keine Sorgen gemacht, dass Susanne sich nicht gemeldet hat“, fuhr
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