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Seelengrab (German Edition)

Seelengrab (German Edition)

Titel: Seelengrab (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Buranaseda
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fleckige Tischdecke. „Wissen Sie, mein Sohn hier, lädt mich ein.“
    „Bringen Sie ihm bitte nur ein Wasser.“
    Bevor sein Vater protestieren konnte, stieß Hirschfeld ihn unter dem Tisch an. „Und für mich einen Kaffee.“
    „In Ordnung. Möchten Sie auch etwas essen?“
    „Ja“, gab Hirschfeld zurück und versuchte die wütenden Blicke seines Vaters zu ignorieren.
    „Gut, ich bringe Ihnen die Karte.“
    „Was fällt dir ein, mich so vor allen Leuten bloßzustellen?“, zischte Heinrich Hirschfeld, als die Kellnerin ihren Tisch verlassen hatte, und schlug mit der Faust auf den Tisch.
    „Du weißt ganz genau, dass du keinen Tropfen Alkohol trinken darfst.“
    „Was? Willst du mir jetzt vorschreiben, was ich zu tun habe?“
    „Ja, allerdings. Und darüber werde ich nicht mit dir diskutieren, sonst bist du schneller wieder auf deinem Zimmer, als dir lieb ist.“
    „Das ist Erpressung.“
    Damit verschränkte Heinrich Hirschfeld die Arme vor dem Bauch und zog das Kinn nach vorne.
    „Mach kein Drama daraus, ja? Es gibt Schlimmeres.“
    „Ach, ja?“
    Hirschfeld war kurz versucht, seinem Vater vom Grab seiner Mutter zu erzählen, verwarf den Gedanken jedoch sofort wieder. Er war froh, dass der alte Herr überhaupt mit ihm sprach. Ein falsches Wort und er würde wieder in anklagendes Schweigen verfallen.
    „Worauf hast du Appetit?“, wechselte Hirschfeld das Thema, nahm der Bedienung die Speisekarte ab und reichte sie an seinen Vater weiter.
    „Mal sehen“, sagte Heinrich Hirschfeld freudestrahlend und langte nach der Karte. „Die haben uns auf Diät gesetzt. Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann ich das letzte Mal etwas Vernünftiges gegessen habe.“
    Er klappte den Deckel auf und hielt die Speisekarte mit hochgezogenen Augenbrauen weit von sich. Erst jetzt fiel Hirschfeld auf, dass sie seine Brille in der Klinik liegen gelassen hatten.
    „Ich glaube, ich brauche eine Brille. Meinst du, so ein Ding würde mir stehen?“
    „Natürlich“, musste Hirschfeld nicht einmal lügen. Die letzten 20 Jahre hatte er seinen Vater nie ohne gesehen.
    „Haben Sie sich schon entschieden?“, wollte die blonde Kellnerin wissen, die an ihren Tisch zurückgekehrt war.
    Heinrich Hirschfeld fixierte immer noch die erste Seite der Speisekarte.
    „Können Sie etwas empfehlen?“, fragte er.
    „Schweinshaxe mit Sauerkraut.“
    „Ja, das nehme ich.“
    Damit klappte Heinrich Hirschfeld die Karte wieder zu.
    „Und für Sie?“
    „Nichts, danke.“
    „Du solltest auch was essen. Bist schon ganz schmal im Gesicht geworden.“
    So viel Fürsorge hätte Hirschfeld seinem Vater gar nicht zugetraut.
    „Na, schön“, antwortete er und bestellte eine Tomatensuppe.
    „Ich glaube, deine Mutter wird mir diesmal nicht verzeihen“, sagte Heinrich Hirschfeld unvermittelt.
    „Wie meinst du das?“
    „Sieh mich doch an“, antwortete sein Vater und schaute an sich hinunter. „Ich kann ihr nicht mehr imponieren. Früher war das anders. Sie hat an meinen Lippen gehangen, mich bewundert.“
    „Das hat sie bis zuletzt getan.“
    „Wie meinst du das?“
    Irgendwann musste er mit seinem Vater über den Tod seiner Mutter sprechen, dachte Hirschfeld. Es hatte keinen Sinn, auf eine passende Gelegenheit zu warten: Es gab keine.
    „Mama ist tot. Erinnerst du dich nicht mehr?“, erkundigte sich Hirschfeld und griff nach der Hand seines Vaters. Diesmal zog der sie nicht weg. Hirschfeld ließ ihm Zeit, das Gesagte aufzunehmen. Heinrich Hirschfeld schwieg, dann fragte er leise:
    „Glaubst du, sie hat es mir übel genommen, dass ich ihr nicht treu war?“
    Zum ersten Mal benutzte Heinrich Hirschfeld die Vergangenheitsform, als er über seine Frau sprach. Das war ein Fortschritt, wie Hirschfeld meinte. Das Thema, das sein Vater anschnitt, verursachte ihm jedoch Unbehagen. Seit Jahren hatte Hirschfeld die Vermutung gehabt, dass sein Vater fremdging. Manchmal hatte der Blick seiner Mutter die Lüge, die beide lebten, entlarvt, manchmal war es nur ein Wort, das nicht gesagt wurde. Sie hatten niemals darüber gesprochen, doch tief in seinem Innern hatte Hirschfeld immer gewusst, wie es um seine Eltern stand.
    „Ich weiß es nicht“, erwiderte Hirschfeld und meinte es auch so. Die Ehe seiner Eltern war kompliziert gewesen, letzten Endes hatte Liebe die beiden über die Jahre zusammengehalten. Es stand ihm nicht zu, darüber ein Urteil zu fällen.
    „Sie fehlt mir“, entgegnete Heinrich Hirschfeld.
    In diesem Moment brachte die

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