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Seelengrab (German Edition)

Seelengrab (German Edition)

Titel: Seelengrab (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Buranaseda
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in kleinen Gruppen leise unterhielten, einen Weg ins Innere der kleinen Kapelle. Es roch nach Wachs und Weihrauch. Wie Kirchhoff vermutet hatte, waren die Bankreihen bis auf den letzten Platz besetzt. Die meisten der Anwesenden hielten die Köpfe gesenkt und warteten darauf, dass die Trauerfeier begann. Wortlos trennten sich Hirschfeld und Kirchhoff am Eingang. Während Kirchhoff über den Seitengang weiter nach vorne ging, trat Hirschfeld direkt neben die Tür und lehnte sich an die kühle Steinmauer. Er sah den Hauptgang hinauf und ließ den Anblick des schmucklosen weißen Sarges mit den sterblichen Überresten von Susanne Bach auf sich wirken. Eine einzelne rote Rose zierte den Deckel. Schwere gusseiserne Kerzenständer, die sich mit schlichten Gestecken aus Efeuranken abwechselten, rahmten den Holzsarg ein. Auf dem schwarz-weiß gemusterten Fliesenboden lag ein in die Jahre gekommener, aber gepflegter Perserteppich, auf dem mehrere Blumenkränze mit farbigen Trauerschleifen standen. Im hinteren Teil der Friedhofskapelle erstreckte sich die sonnengelb gestrichene Apsis. Diffuses Licht fiel durch die drei Buntglasfenster der Nische und unterstrich die düstere Stille, die über der Trauerhalle hing und nur gelegentlich vom unterdrückten Husten der Gäste unterbrochen wurde.
    In der ersten Reihe entdeckte Hirschfeld Susannes Eltern. Die Mutter war in sich zusammengesunken und wirkte neben dem massigen Rücken ihres Mannes, der seinen Arm schützend um sie gelegt hatte, noch zerbrechlicher. Obwohl Hirschfeld auf diesen Anblick gefasst war, durchfuhr ihn ein stechender Schmerz in der Herzgegend. Fast auf den Tag genau vor drei Jahren war er derjenige gewesen, der dort vorne Platz genommen hatte. Er erinnerte sich genau an die heißen Tränen seiner Schwester und das ohnmächtige Schweigen seines Vaters, das er erst gebrochen hatte, nachdem sie von der Beerdigung seiner Mutter nach Hause zurückgekehrt waren.
    „Entschuldigen Sie, bitte.“
    Ein korpulenter, kurzatmiger Mann mittleren Alters schob sich an Hirschfeld vorbei, um sich neben ihn zu stellen. Der Mann verschränkte die Hände vor seinem runden Bauch, der sich mit jedem Atemzug hob und senkte. Sein linker Arm berührte Hirschfeld leicht, der daraufhin zur Seite rückte. Die Enge der Friedhofskapelle, die sich weiter füllte, begann ihm zu schaffen zu machen.
    Als ein hagerer Mann in einem schwarzen Zweireiher an das Rednerpult trat, war Hirschfeld erleichtert, dass die Trauerfeier begann. Er trug eine randlose Brille, die er zurechtrückte, bevor er zu sprechen begann. Wer es nicht mehr in die Kapelle geschafft hatte, war vor dem Eingang stehen geblieben und versuchte, den Worten des Mannes von draußen zu folgen. Nach ein paar einleitenden Sätzen, die verrieten, dass er kein Geistlicher war, trug der Redner ein Gedicht von Rainer Maria Rilke vor:
    „Der Tod ist groß.“
    Hirschfeld ließ den Blick über die Bankreihen schweifen. Links des Mittelgangs saß Florian Richter, der Mitbewohner von Susanne. Sein blonder Lockenkopf stach aus der Menge hervor.
    „Wir sind die Seinen / lachenden Munds.“
    Der Student saß vornübergebeugt und hatte den Kopf in die Hände gestützt. Sein Oberkörper zitterte. Von seiner Gleichgültigkeit, die er in der WG an den Tag gelegt hatte, war nichts mehr übrig. Hirschfeld wusste aus Erfahrung, dass der Anblick eines Sarges vielen Menschen erst die Endgültigkeit des Todes ins Bewusstsein rief.
    „Wenn wir uns mitten im Leben meinen“, fuhr der Mann hinterm Rednerpult fort, „Wagt er zu weinen / mitten in uns.“
    Eine halbe Stunde später kam Bewegung in die Trauergemeinde. Vier Sargträger in schwarzen Anzügen zogen den aufgebahrten Sarg aus der Kapelle. Susannes Eltern folgten dichtauf. Jeder Schritt schien ihnen schwerzufallen. Die Trauernden auf den Bänken erhoben sich von ihren Plätzen und schlossen sich nach und nach dem Zug an. Hirschfeld wartete neben der Tür, bis Kirchhoffs kantiges Gesicht zwischen den Trauernden auftauchte.
    „Und?“, wollte Kirchhoff wissen. „Irgendetwas Neues?“
    „Nein“, schüttelte Hirschfeld den Kopf und reihte sich neben seinem Partner in die Schlange ein. „Florian Richter ist hier.“
    „Ja, der Junge ist mir vorhin auch aufgefallen. Sieht ganz schön mitgenommen aus.“
    „Ich bin sicher, dass er nichts mit Susannes Tod zu tun hat“, entgegnete Hirschfeld.
    „Nur weil er den Trauernden gibt?“
    Eine ältere Dame mit Hut drehte sich abrupt zu ihnen um. Die

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